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Konzentrationslager Schüler fahren nach Auschwitz

Sie gewinnen einen Einblick in das düsterste Kapitel des Zweiten Weltkriegs: 23 Schüler des Stadtfeld-Gymnasiums fahren nach Auschwitz.

Von Julia Bruns 27.09.2017, 01:01

Wernigerode l Immer, wenn sie mit ihrem Opa über den Krieg sprechen wollte, habe er das Thema gewechselt. „Und meine Mutter hat zwar Angst, was mit mir passiert, aber trotzdem gesagt: Mach es, die Erfahrung musst du machen.“ Antonia Dirrwald ist eine von 23 Jugendlichen, die am Mittwoch, 27. September, von Wernigerode aus in das KZ Auschwitz fahren. „Ich denke, dass es mich berühren wird“, vermutet die Schülerin mit dem langen blonden Zopf. „Im Moment bin ich noch ein emotionsloser Brocken. Wahrscheinlich werde ich erst vor Ort realisieren, was dort geschehen ist.“

Bis Sonntag, 1. Oktober, bleiben die Schüler des Stadtfeld-Gymnasiums in Polen, um sich ein persönliches Bild von dem Stammlager Auschwitz und dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau zu machen. Untergebracht sind die 17-Jährigen unmittelbar vor Ort, in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte. Anderthalb Jahre Wartezeit gebe es für die Zimmer in der Begegnungsstätte, sagt Lehrer Uwe Lagatz, der den Geschichtskurs betreut. Während ihres Aufenthalts ist auch ein ganztägiger Arbeitseinsatz im Lager geplant. „Was genau die Schüler machen werden, erfahren wir erst vor Ort“, sagt Uwe Lagatz. Dem Geschichtslehrer ist die Aufregung anzumerken. Er selbst war im vergangenen Jahr erstmals in Auschwitz zu einer Lehrerfortbildung. „Das war eine sehr wichtige Erfahrung. Ohne die Fortbildung würde ich mir das nicht zutrauen“, sagt er unumwunden.

Im Unterricht sprechen die Schüler über ihre Erwartungen an die Fahrt. Verzweiflung, Angst, Trauer, Schuld, Leid – die Begriffe gehen den Jugendlichen durch den Kopf, wenn sie an das KZ Auschwitz denken. Sie schreiben sie nacheinander an die Tafel. Nur Mädchen gehen nach vorne und greifen nach der Kreide, die Jungen bleiben sitzen.

„Wenn wir die Habseligkeiten der Menschen sehen, die dort ermordert wurden, wird es sehr bedrückend sein“, sagt Enya Glanz. Valeria Löwen hoffe nicht nur auf einen Wissens-, sondern auch auf einen Gefühlszuwachs. „Ich weiß schon jetzt, dass ich mit Übelkeit zu kämpfen haben werde“, sagt sie. „Das überkam mich schon beim Anschauen des Films.“ Die Dokumentation „Ich fahre nach Auschwitz“ hat der Geschichtskurs gerade gemeinsam angesehen. „Aber einen Film zu sehen, ist etwas anderes, als vor Ort zu sein“, sagt Valeria Löwen. „Den Film vergisst man nach ein paar Tagen wieder, den Aufenthalt im Lager nicht.“ Traurig sei es, dass es in allen Generationen nach wie vor Menschen gebe, die den Holocaust leugnen, sagt sie.

„Viel von dem Hass, der damals existiert hat, existiert heute wieder, global gesehen – in der Türkei, in den USA zum Beispiel. Man muss aus der Geschichte lernen“, ist Kira Straub überzeugt. Sie hält die Reise für ihre persönliche Weiterentwicklung wichtig. „2,5 Millionen Touristen kommen sicher nicht dorthin, weil es ein so toller Partyort ist.“

Der Gedanke, das größte deutsche Konzentrationslager zu besuchen, ist in der Klasse aufgekeimt. „Es ist eher ungewöhnlich, dass die Schüler diesen Wunsch selbst geäußert haben“, sagt Uwe Lagatz. 2015 hatten die Jugendlichen, damals noch Neuntklässler und 15 Jahre alt, zahlreiche Besuchergruppen durch die Sonderschau „Deine Anne. Ein Mädchen schreibt Geschichte“ geführt. Die Ausstellung über das ermordete jüdische Mädchen Anne Frank im Harzmuseum beschäftigte die Schüler nachhaltig; ihr Schicksal ließ sie nicht mehr los. Kurz nach der Ausstellung begann die Organisation der Auschwitz-Fahrt. „Es ist ein Stück Kultur, es prägt uns“, sagt Kira Straub. Im Unterricht bereitet Uwe Lagatz die Jugendlichen auch darauf vor, dass auch Opfergruppen das Lager besuchen und die Wahrscheinlichkeit hoch ist, auf eine dieser Gruppen zu treffen. „Ist es überhaupt vertretbar, so einen Ort touristisch zu nutzen?“, fragt der Historiker in die Runde. „Ich finde es wichtig, so einen Ort zugänglich zu machen“, sagt Valeria Löwen. „Es gibt immer noch rechtsextreme Gruppen, die das bejubeln, was dort passiert ist“, sagt Ronja Deicke. „Aber das, das darf nie wieder passieren.“

Die Schüler des Stadtfeld-Gymnasiums zahlen für die Fahrt nach Auschwitz nur 30 Euro. Die Fahrt wird hauptsächlich finanziert von der Landeszentrale für politische Bildung und der Bethe-Stiftung. Geld gaben auch der Schulförderverein sowie die Stadtwerkestiftung.