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1500 Einbrüche So wurde die Spurlos-Serie aufgeklärt

Obwohl die Ermittlungen noch laufen, ist das Ausmaß der „Spurlos-Serie“ in Magdeburg schon jetzt einzigartig.

05.06.2016, 02:00

Magdeburg l So etwas habe sie in dieser Form noch nicht erlebt, sagt Christina Kronsbein von der Wohnungsbaugenossenschaft Magdeburg-Stadtfeld. Vor ihr liegt eine Tabelle, auf der mehr als 300 Einbrüche verzeichnet sind, die der „Spurlos-Serie“ zugeordnet werden können. „Normal können wir die Einbrüche an einer Hand abzählen“, sagt sie.

Mit 5400 Wohnungen gehören die Stadtfelder mit zu den größten Vermietern in Magdeburg. „Einbrüche in diesem Ausmaß hat es in der Geschichte unserer Genossenschaft bislang noch nicht gegeben“, sagt Christina Kronsbein.

Los ging es im September 2014. Quasi über Nacht stiegen die Einbrüche sprunghaft an. „Wir hatten dafür erst keine Erklärung“, sagt sie. Der Genossenschaft sei nur klar gewesen, dass jemand mit Insiderwissen am Werk war. „Auf uns wirkte es so, als seien die Täter sehr zielgerichtet vorgegangen.“ Nur ein System war nicht erkennbar. Betroffen war der komplette Bestand der Stadtfelder Genossenschaft im kompletten Stadtgebiet.

Heute, mehr als eineinhalb Jahre später, ist für die Ermittler klar, wie die Täter vorgegangen sind. Damals, im September 2014, wurde in ein Subunternehmen der Stadtfelder eingebrochen. Neben anderen Dingen wurden der Gebäudereinigungsfirma auch zwei Generalschlüssel der Stadtfelder gestohlen. Mit diesen beiden Super-Schlüsseln kommt man in fast alle Gebäude der Genossenschaft rein.

Als der Genossenschaft das Ausmaß bekannt wurde, entschied sie sich zur umfassenden Kooperation mit der Polizei. Mieter wurden informiert und Daten den Ermittlern zur Verfügung gestellt. Die Stadtfelder haben ein Sicherheitsunternehmen mit Streifenfahrten beauftragt, Kellerdurchgänge zugemauert, und auf Knaufklinken umgerüstet. „Die Mieter sind uns massiv aufs Dach gestiegen“, erklärt Christina Kronsbein.

Spricht man mit der vierköpfigen Ermittlergruppe, dann bezeichnen diese die Zusammenarbeit mit den Stadtfeldern als vorbildlich. „Wir haben getan, was wir tun können. Wir hätten uns gewünscht, dass alle Wohnungsunternehmen so eng mit der Polizei zusammengearbeitet hätten. Vielleicht hätte man die Serie so früher aufklären können“, sagt Christina Kronsbein. Als Konsequenz werden die Stadtfelder mittelfristig ihre Schließanlage umrüsten – weg von einem großen und hin zu kleineren Schließsystemen. Die beiden gestohlenen Super-Schlüssel hat die Genossenschaft inzwischen zurück.

Doch noch immer laufen die Ermittlungen. Am gestrigen Freitag präsentierte die Polizeidirektion Nord die ersten Ergebnisse: Mehr als 1500 Taten, 25 bis 30 Verdächtige, 136 eingeleitete Verfahren und ein Schaden im siebenstelligen Bereich. Das sind die Rahmendaten der Serie, die von September 2014 bis Anfang 2016 durch Magdeburg schwappte und auf den Namen „Spurlos-Einbrüche“ getauft wurde.

Koordiniert wurden die Taten von Dennis S. (30), der kürzlich zu einer mehrjährigen Haftstrafe (4 Jahre, acht Monate) verurteilt wurde. Auch die Volksstimme war bei diesem Gerichtstermin, veröffentlichte aber darüber nichts aus Rücksicht auf die laufenden Ermittlungen. Aktuell werden gegen weitere vier Täter Anklagen vorbereitet.

Insgesamt kann man sagen, dass zum Dunstkreis von Dennis S. etwa 50 Personen gehören. Ca. 25 bis 30 sollen an den Einbrüchen, die er als Schlüsselpate organisiert hat, beteiligt gewesen sein. Alle Personen sind zwischen 30 und 37 Jahren alt, leben in Magdeburg und sind größtenteils Crystal-Meth-abhängig, weshalb die Serie auch der Beschaffungskriminalität zugeordnet werden kann.

„Die Täter um den 30-jährigen Hauptbeschuldigten hatten in wechselnder Tatbeteiligung Generalschlüssel und Arbeitsschlüssel verschiedener Wohnungsbaugesellschaften durch Einbrüche in Hausmeister- und Servicebüros erlangt“, sagt Polizeisprecher Marc Becher. Die Täter sind straßenzugweise vorgegangen. Die Ermittlungen sind noch nicht komplett abgeschlossen. Verfahren laufen noch.

Ins Rollen geriet der Stein, als die Polizei im Mai 2015 bei einer Routinekontrolle Dutzende Schlüssel in einer Wohnung fand – diese aber nicht zuordnen konnte. Der Fund war ein Zufallsfund. Denn eigentlich war die Polizei im Zuge einer Drogenfahndung in der Wohnung. Etwa zeitgleich und unabhängig berichtete die Volksstimme damals über ein Haus am Ulrichplatz, aus dem trotz verschlossener Haus- und Kellertüren mehrfach Farräder gestohlen worden waren. Nach der Veröffentlichung meldeten sich Dutzende weitere Leser und berichteten von ähnlichen Fällen.

Die Vermutung, dass die Täter mit Schlüsseln in die Häuser gelangten, wurde immer konkreter – nur waren die Indizien noch nicht ausreichend genug. Bei einem Hintergrundgespräch bei der Polizei kam auch die Sprache auf den Schlüsselfund. Die Volksstimme fotografierte die Schlüssel einzeln und stellte davon Bilder ins Internet. „Danach stand das Telefon bei uns nicht mehr still“, sagt ein Ermittler.

Dass Dennis S., der sowieso schon im Visier der Polizei war, letztendlich auf frischer Tat geschnappt wurde, war ebenfalls dem Zufall zu verdanken. Dennis S. geriet nämlich im September 2015 in eine Routinekontrolle der Polizei an der Lübecker Straße. Er war mit einem Wagen mit gestohlenen Kennzeichen unterwegs. Bei der Kontrolle des Autos fanden die Ermittler Dutzende Schlüssel. Die Vermutung: Er war gerade auf dem Weg zu einer Diebestour.

Zugute kam der Tätergruppierung, dass viele der entwendeten Schlüssel mit konkreten Adressangaben versehen waren, welches den Tätern die Zuordnung erleichterte. „Zusätzlich waren viele der Generalschlüssel und Arbeitsschlüssel nur in einfachen Schlüsselkästen verstaut oder in sonstiger Weise ungeeignet aufbewahrt“, sagt Polizeisprecher Marc Becher. Die Polizei rate daher, Generalschlüssel und Arbeitsschlüssel mit einem Nummerncode-System zu versehen und in geeigneten Tresoren zu lagern. Während der Arbeit in den betreuten Wohnobjekten sollten die Schlüssel jederzeit unter Kontrolle des jeweiligen Mitarbeiters sein, so Becher.

Fest steht, dass die Stadtfelder nicht das einzige betroffene Wohnungsunternehmen der Stadt sind. So wurde etwa Anfang 2015 auch in eine Firma, die mit der Wobau zusammenarbeitet, eingebrochen. Auch dort wurde ein Generalschlüssel entwendet. Nach Informationen der Volksstimme wurde dieser Schlüssel Dennis S. für 1500 Euro zum Kauf angeboten.

Torsten Prusseit, Leiter Wohnungswirtschaft der Wobau, bestätigt der Volksstimme auf Nachfrage, dass ein Schlüssel auch noch bei den Ermittlern liege: „Die Polizei hatte bei einem Termin im Dezember 2015 einen Wobau-Schlüssel zur Identifizierung vorgelegt. Dieser wurde zuvor bei einem Beschuldigten gefunden. Es ist nicht bekannt, wie der Schlüssel in den Besitz des Täters gekommen ist. Der Schlüssel befindet sich auch weiterhin bei der Polizei.“

Mehrfach hatten sich Wobau-Mieter bei der Volksstimme über die Informationspolitik des Unternehmens beschwert. Nachdem die Masche der Spurlos-Bande bekannt geworden war, wurde etwa ein Austausch der Generalschließanlage gefordert. Das lehnte die Wobau aber wegen Unverhältnismäßigkeit und zu hoher Kosten (ungefähr 1,4 Millionen Euro) ab.

„Die Mieter wurden aufgrund der steigenden Zahlen von Einbrüchen durch Hausaushänge für dieses Thema sensibilisiert, welche die Mieter zu erhöhter Wachsamkeit aufrufen und zum Schließen der Haus-, Hoftüren und Verschließen der Gemeinschaftsräume“, sagt Torsten Prusseit der Volksstimme auf die Frage, was das Unternehmen für die Mieter tue. Außerdem hätten Kontaktbeamte der Polizei in den Kundencentern Informationsmaterial ausgelegt. In GWA-Veranstaltungen sei ebenfalls zu diesem Thema informiert worden.

Obwohl die Polizei von mindestens 1500 Taten sicher weiß und von einer noch viel höheren Dunkelziffer ausgeht, ist die Wobau laut Prusseit nicht so stark betroffen. „2014/2015 gab es im gesamten Bestand der Wobau (mehr als 20 000 Wohnungen) in 83 Fällen Einbrüche in Keller- und Gemeinschaftsräume.

Eine genaue Zuordnung zur Spurlos-Serie ist nicht möglich“, sagt er auf eine Anfrage der Volksstimme.