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Wiederaufbau Auf den Spuren der Familie Krayl

Bruno Krayl lebt für seine Heimatstadt. Er hat am Aufbau von Neu-Reform mitgewirkt und jetzt hat er seinen 90. Geburtstag gefeiert.

Von Martin Rieß 10.07.2015, 09:50

Magdeburg l Die Familie Krayl hat ihre Spuren in Magdeburg hinterlassen. Wie die Volksstimme am Dienstag berichtete, bekommt beispielsweise das AOK-Gebäude in der Lüneburger Straße derzeit blaue Fenster – so wie es Carl Krayl als einer der beteiligten Architekten in den 1920er Jahren festgelegt hatte.

Heute wird darauf geachtet, dass die Spuren des Architekten, der von 1921 bis 1933 in Magdeburg gewirkt hat, bewahrt werden. Und das freut nicht zuletzt seinen Sohn: Bruno Krayl. Vor wenigen Tagen hat er seinen 90. Geburtstag gefeiert. Der Volksstimme berichtete er nun von der Erinnerung an das Neue Bauen in Magdeburg – vor allem aber über die Entwicklung der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg. Denn an dieser hat Bruno Krayl aktiv mitgewirkt – und zwar anders, als es alle anderen von ihm erwartet hatten. „Alle haben von mir erwartet, dass ich Architekt werde. Aber ich habe mich bewusst für das Ingenieurbauwesen entschieden“, sagt Bruno Krayl. Warum? „Ich hätte sicher gern das fortsetzen wollen, was mein Vater gemacht hat – aber kurz nach dem Krieg standen die Zeichen nicht nach dem Neuen Bauen.“

Zwar schätzt er den aus der Sowjetunion importierten Stil, wie er an der Ernst-Reuter-Allee errichtet wurde und der zuweilen despektierlich als Stalin-Barock bezeichnet wird. „Diese Häuser strahlen eine große Harmonie aus.“ Doch es sei eben doch etwas ganz anderes als das, was sein Vater gemacht hat.

Als Bruno Krayl 1948 aus der Kriegsgefangenschaft in seine zerstörte Heimatstadt zurückkehrte, absolvierte er eine Lehre auf dem Bau und begann dann sein Studium. „Besonders schön war bei dieser Ausbildung eine Vielseitigkeit, die es heute gar nicht mehr gibt.“ Die Folge: In seinem späteren Berufsleben wirkte er ebenso am Bau des Berliner Fernsehturms mit wie am Bau von Schornsteinen wie denen im Kraftwerk Boxberg oder am Silobau für die Landwirtschaft der DDR, mit dem die Produktion von Viehfutter deutlich verbessert wurde. Oder in Magdeburg an der Großgaserei.

Daran war aber während Ausbildung und Studium noch nicht zu denken: Vielmehr ging es darum, den zum Teil zerstörten Berufsschulkomplex wieder aufzubauen. Unter anderem sei es dabei um den Bau des Hörsaals gegangen, für den ein Wettbewerb veranstaltet wurde. „Einer der Dozenten sagte damals zu mir: ,Wenn du nur halb so viel kannst wie dein Vater, dann wird dein Entwurf gewinnen‘“, erinnert sich Bruno Krayl. Sein Entwurf gewann tatsächlich. „Eine sicher sehr seltene Gelegenheit, dass der Entwurf eines Studenten sofort umgesetzt wird und dass es daher für mich möglich war, mich mit der Projektion auch in meiner Abschlussarbeit an der Ingenieurschule zu beschäftigen.“

Als seinen wichtigsten Wirkungsort in Magdeburg nennt Bruno Krayl Neu-Reform. „Der Stadtteil sollte ein Vorzeigeprojekt für den komplexen Wohnungsbau werden“, berichtet er. Einschließlich einer ganzen Reihe neuer Ideen: Schulen und das Altersheim in die Mitte und nicht an den Rand. Auch eine Flaniermeile mit Bibliothek und weiteren Einrichtungen gehörte zum Plan, so dass sich Neu-Reform zu einem eigenständigen Organismus entwickeln sollte. Zunächst sollte das Straßennetz angelegt werden, dann sollten die Häuser gebaut werden. „War ja eine gute Idee“, sagt Bruno Krayl. Ärgerlich nur, dass die Kapazitäten aus dem Bauwesen abgezogen wurden, da in Berlin ein Stadtjubiläum vorbereitet werden sollte. „Auf der anderen Seite haben die Plattenwerke für den industriellen Wohnungsbau produziert und wir konnten das Projekt nicht einfach verschieben.“ Die Folge: Der Bau der Wohnhäuser begann, ohne dass das Straßennetz angelegt war. Und damit begann die stressigste Zeit im Leben von Bruno Krayl. Seine Frau Ingrid erinnert sich bis heute daran, dass ihr Mann morgens um 6 mit der Arbeit begann, abends um 21 Uhr heimkam – und dass er die Probleme stets auch mit nach Hause brachte.

Klar: Denn auch als die Mieter einzogen, war beispielsweise von Straßen und Wegen keine Spur. Es hagelte Eingaben, Bruno Krayl setzte zu Anfang sogar wöchentliche Bürgerversammlungen an.

Er hörte sich die harschen Kritiken an und suchte nach irgendwelchen Lösungen, und sei es, dass erst einmal ein paar Platten anstelle der gewünschten Straße in den Boden gebracht wurden. „Ich durfte alles sagen, nur nicht die Wahrheit“, sagt er. Die Wahrheit, dass die Kapazitäten für die hochfliegenden Pläne schlicht nicht vorhanden waren.

In jener Zeit hatte sich der Magdeburger sogar den Titel des „Bürgermeisters von Reform“ bei einigen Bewohnern des Viertels erarbeitet. Er sagt: „Viele andere Verantwortliche haben sich ja bei solchen Problemen einfach weggeduckt.“

Mit der Wende hat sich in Neu-Reform viel verändert: Einige Blöcke verschwanden ganz, andere wurden um mehrere Etagen zurückgebaut. Und das Viertel wurde an das Straßenbahnnetz angebunden. „Nach der Wende hat sich Neu-Reform gut entwickelt, die vergangenen Jahre haben dem Stadtteil gut getan“, meint Bruno Krayl. Und ihm ist auch um die Zukunft des Stadtteils nicht bange. „Einzig, dass in die Mitte Supermärkte gebaut wurden, ärgert mich ein bisschen – das widerspricht unseren Ideen von einem Viertel am Stadtrand mit viel Platz und Grün.“

Zuletzt hatte er noch einmal eine vermittelnde Rolle in diesem Gebiet eingenommen – als nämlich der Brunnen umgestaltet werden sollte. „Den Menschen war die Skulptur so ans Herz gewachsen, dass sie sich nicht von ihr trennen wollten – obwohl der Vorschlag zur Neugestaltung ja auch nicht schlecht war“, erzählt der 90-Jährige.

Und wie hat sich die Stadt sonst entwickelt? Auf jeden Fall gebe es bemerkenswerte Bauprojekte: „Die Bärstraße mit dem Bau von Gebäuden zwischen den Baulücken und das Motel One als Kombination eines historischen Gebäudes mit einem Neubau empfinde ich als sehr gelungen“, sagt Bruno Krayl. Oder auch die drei Punkthäuser, die auf dem Werder gebaut wurden.

Zudem werde das Bauhaus-erbe in der Stadt gepflegt. „Leider wird es nur nicht ausreichend für die Außenwerbung genutzt.“ In Magdeburg stünden die Originale für Ideen, mit denen andere Städte wie Berlin und Frankfurt heute um Besucher werben. Zurzeit jedenfalls arbeitet das Kulturhistorische Museum an dem Thema.

„Außerdem nehmen die Stadtplaner heute leider nicht mehr den Einfluss auf das Baugeschehen, der wünschenswert ist“, sagt der Mann vom Bau. Mehr Vorschriften, mehr Vorgaben? „Nein, darum geht es nicht. In den 1920er Jahren haben die Stadtplaner gemeinsam mit Bauherren und Architekten an Lösungen gearbeitet und überaus kreative Ideen gefunden.“ Heute fehle an vielen Stellen eine Art Anleitung für grundsätzliche Fragen – was aber auch in anderen Kommunen zu beobachten sei.