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Kandidatin Ein Meilenstein stoppt den Nazimarsch

Volksstimme-Leser wählen den "Magdeburger des Jahres 2015". Nominiert ist Kantorin Hedwig Geske.

Von Stefan Harter 03.12.2015, 00:01

Magdeburg l Eine Organistin zieht alle Register: Mit ihrer Mahnwache auf dem Nicolaiplatz stoppt Gemeindekantorin Hedwig Geske am 16. Januar einen Nazi-Aufmarsch. Auch in Kirchenchor und Gospelprojekt stimmen alle gerne mit ihr ein.

Als sich am Donnerstag vor dem 16. Januar dieses Jahres abzeichnete, dass der von rechten Kräften geplante Gedenkmarsch bereits am Freitag und nicht wie eigentlich angemeldet am Sonnabend durchgeführt werden könnte, handelte Hedwig Geske. Die Kirchenmusikerin der Nicolaigemeinde meldete kurzerhand eine Mahnwache auf dem Nicolaiplatz an, um den Nazitross im Fall eines Falles zu stoppen. Dass ihr genau das gelingen würde, konnte sie da noch nicht ahnen.

„Es war aufregend, aber nicht beängstigend“, sagt sie rückblickend. Im Jahr zuvor war die Idee der „Meilensteine“ im Rahmen der „Meile der Demokratie“ auf dem Breiten Weg erstmals eingeführt worden.

Auch da hatte sich Hedwig Geske für die Nicolaigemeinde bereits beteiligt. Überall in der Stadt werden dabei Satellitenproteste an prägnanten Plätzen angemeldet, so dass es kaum mehr Aufmarschorte für die Rechten gibt. Sie instrumentalisieren seit Jahren den Jahrestag der Bombardierung Magdeburgs am 16. Januar 1945 für ihre Zwecke. Und diesmal jährte sie sich zum 70. Mal.

Vor sieben Jahren hatte es bereits einmal eine Kundgebung von Rechten auf dem Nicolaiplatz gegeben. Man läutete zwar die Glocken der ehrwürdigen Schinkelkirche, doch da waren sie trotzdem und verbreiteten ihre tumben Parolen. „Das will ich nicht mehr“, sagte sich Hedwig Geske und meldete einen „Meilenstein“ an, „damit sie nicht hier sein können.“

Als sich im Lauf des Freitags herauskristallisierte, dass sich die Rechten-Demo tatsächlich durch Neustadt bewegen würde, geriet die Mahnwache auf dem Nicolaiplatz und damit auch ihre Anmelderin in den Mittelpunkt des Geschehens.

Viele der gut 1000 Gegendemonstranten, die den Nazis den Weg versperren wollten, hatten nun einen rechtlich sauber angemeldeten Anlaufpunkt. „Auf einmal war der ganze Platz voller Menschen“, erinnert sich Hedwig Geske. Zwischen Moritzstraße und Nicolaiplatz baute die Polizei eine Barrikade aus Einsatzfahrzeugen auf.

Von beiden Seiten gab es kein Durchkommen mehr. „Sie waren nicht einmal zu sehen. Da hätte man eine Leiter gebraucht“, sagt Hedwig Geske.

Der Aufzug der rechten Kräfte war gestoppt. Durch kleine Nebenstraßen musste der gespenstige Fackelzug seinen Rückzug ohne Kundgebung an öffentlichem Platz antreten. „Das war ein sehr schöner Erfolg. An diesem Abend bin ich mit einem richtig guten Gefühl ins Bett gegangen“, gibt die Kantorin freimütig zu.

Und wenn keine Nazis gekommen wären? „Dann hätte ich mit ein paar Freundinnen einfach auf dem Nicolaiplatz gestanden“, erklärt sie lapidar. Dass die Situation auch hätte eskalieren können und sie als Anmelderin in der Verantwortung gewesen wäre, war ihr bewusst. 50 Teilnehmer hatte sie eigentlich angemeldet, später dann vor Ort auf 500 aufgestockt. „Man hat es ja irgendwann nicht mehr in der Hand. Man weiß nicht, was passiert“, beschreibt sie die Gemütslage. Die Polizei habe aber sehr deeskalierend agiert, Unterstützung habe sie von Christine Böckmann vom Bündnis gegen Rechts bekommen.

Als Kind einer „Dissidentenfamilie“ aufgewachsen, wie sie selbst sagt, war ihr der Wille zum Protest schon in die Wiege gelegt: Ihre Mutter, Erika Drees, war eine der Gründerinnen des Neuen Forums.

„Ich tue etwas für die Welt, wenn ich meine Kinder so erziehe, dass sie friedliche Menschen sind“, sagt sie über sich selbst. Nun da die drei Söhne groß sind, habe sie Zeit für andere Dinge. Dazu gehört ihre große Liebe, die Musik. Bereits mit 13 Jahren wusste sie: „Ich werde Kirchenmusikerin. In ihrer Heimatstadt Stendal wuchs sie in der Domkantorei auf, sang in Chören und lernte beim Pastor Klavier- und Orgelspielen.

In Halle studierte sie an der Hochschule für Kirchenmusik. In Magdeburg teilt sie sich die Arbeit als Kantorin zwischen den Kirchspielen Nord und Südost. Je zwei Erwachsenen- und Kinderchöre singen unter ihrer Leitung. Privat findet sie Erfüllung im Gospelchor „Go(o)d Voices“.

Musikalisch bisher unbedarfte Magdeburger führt sie an die Freude des Singens in ihrem jährlichen Gospelprojekt heran. Jung und alt kommen dabei für vier Wochen zusammen und entdecken mitunter ungeahnte Sangesqualitäten.

Bei der nächsten „Meile der Demokratie“ am 16. Januar 2016 ist Hedwig Geske natürlich wieder dabei. „Der ‚Meilenstein‘ ist schon angemeldet“, sagt sie. Dann steht sie wieder auf dem Nicolaiplatz, um den Rechten den Weg zu versperren.

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