1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Magdeburg
  6. >
  7. Haube für die Hirnströme

Medizintechnik Haube für die Hirnströme

Mit Nielsen Tele Medical ist ein neues Unternehmen für Medizintechnik in Magdeburg an den Start gegangen.

Von Martin Rieß 15.08.2016, 01:01

Magdeburg l Die neu gegründete Nielsen Tele Medical GmbH möchte in Magdeburg neuartige EEG-Headsets entwickeln und produzieren. Jetziger Standort ist das Zentrum für Neurowissenschaftliche Innovation und Technologie (Zenit) an der Brenneckestraße. Im Rahmen der Unternehmens-einweihung wurde jetzt der Startschuss für eine zweijährige Anwendungs­beobachtung mit 500 bis 1000 Patienten gegeben. „Datenerhebung bekommt eine völlig neue Dimension, zum Nutzen der Gesundheit der Menschen“, erläutert Robert J. Stokes, Geschäftsführer der Nielsen Tele Medical GmbH.

Zum Einsatz kommen soll ein weltweit einmaliges drahtloses EEG-Headset – eine Haube aus elastischen Bändern mit Elektroden – zur Messung von Hirnströmen. Das Unternehmen hat das Projekt mit den Neurologen der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität entwickelt und medizinisch bereits erprobt. Stokes: „Das drahtlose Trockenelektroden-Headset erlaubt eine Beobachtung neurologischer Risikopatienten durch Messung der Hirnaktivität zu Hause.“

Professor Dr. Hans-Jochen Heinze ist Direktor der Universitätsklinik für Neurologie der Magdeburger Universität. Er weist auf die Bedeutung der Neuentwicklung hin: „Ich bin überzeugt, dass diese Technologie eine erhebliche Verbesserung für die neurologische Diagnose und Behandlung bringen wird, mit der wir nicht nur die Kosten der neurologischen Diagnostik nachhaltig senken werden, sondern sogar neurologische Veränderungen im Alltag des Patienten erkennen können, die in der Klinik oder Praxis gar nicht sichtbar werden.“ Aus bisherigen Untersuchungen nennt er ein Beispiel: Zwei Patienten jenseits der 70 klagten über Lücken im Bewusstsein. Mit der Beobachtung der Werte, die wesentlich länger währte als in einer Praxis, konnten für die gleichen Symptome zwei vollkommen verschiedene Ursachen herausgefunden werden: Zum einen epileptische Anfälle, zum anderen Aussetzer im Herzschlag.

Dr. Renate Deike ist Neurologin und war zum Beginn der Arbeit niedergelassene Ärztin. Sie sagt: „Wir Neurologen setzen große Hoffnungen in die neue Technik. Sie wird helfen, ein Bild von den Hirnströmen der Patienten in ihrer gewohnten Umgebung zu bekommen.“ Ausdrücklich zu begrüßen sei, dass das Projekt von Anfang an eng mit den niedergelassenen Ärzten entwickelt wurde. Dr. Christiane Bertram ist Neurologin aus Schönebeck und sagt: „Langzeitbeobachtungen können den Patienten auch ein Gefühl der Sicherheit vermitteln, das bislang gefehlt hat. Und falls am Ende tatsächlich eine Liveübertragung der Daten möglich wird, kann tatsächlich auch in akuten Fällen schneller gehandelt werden.“

Prof. Dr. Hermann Hinrichs von der Uni betreut das Projekt mit. Er sagt: „Uns ist die Rückmeldung von den niedergelassenen Ärzten sehr wichtig.“ Sie seien wichtige Partner bei der komplexen Entwicklung von Medizintechnik. Unter anderem müssen umfangreiche Sicherheitsaspekte beachtet werden. Nielsen, das seine Idee von seinem ursprünglichen Geschäftsfeld, der Marktforschung, mitgebracht hatte, musste bei der Untersuchung der Wirkung von Werbung anhand der Hirnströme von Probanden, andere Vorgaben beachten.

Dass in Magdeburg investiert wurde, ist übrigens auch den langjährigen Kontakten von Professor Dr. Hans-Jochen Heinze zu verdanken. Er hatte in den USA mit dem Fachkollegen Robert T. Knight, Professor an der University of California in Berkeley, die Idee diskutiert, die aus der Marktforschung bekannten Messgeräte für Hirnströme auch für die Medizin nutzbar zu machen. Vor vier Jahren hatte er dieses Vorhaben auch in Magdeburg vorgebracht und war auf offene Ohren gestoßen.

Diese Unterstützung ist es auch, was Robert J. Stokes als entscheidenden Standortvorteil lobt: Die Zusammenarbeit von Uni, Ärzten, Verwaltung und Krankenkassen. Er kündigte an, dass Nielsen Tele Medical noch im August mit der Ausstellung des Medizinproduktezertifikats rechnet und mit der Produktion der ersten Hauben für die Anwendungsbeobachtung Home²B+ der Universität Magdeburg begonnen wird. Hans-Jochen Heinze ergänzt: „Die zweijährige Anwendungsbeobachtung Home²B+ mit dem drahtlosen EEG-Headset läuft unter der Federführung der Universitätsklinik für Neurologie und des Instituts für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie der Otto-von-Guericke-Universität. Die Anwendungsbeobachtung wird durch das EFRE-Programm „Autonomie im Alter“ gefördert.“

Vertreter der Politik freuen sich über den Start in die nächste Phase der Produktentwicklung. Ministerpräsident Reiner Haseloff sagt: „Für uns ist das ein erneutes Signal, wie wichtig erfolgreiche Forschungskooperationen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft für die Schaffung qualifizierter Arbeitsplätze sind.“ Und Oberbürgermeister Lutz Trümper ergänzt: „Die Ansiedlung stellt einmal mehr unter Beweis, wie wichtig gerade für Unternehmen, die aus Forschungskooperationen hervorgehen, das Zenit ist. Akademische und angewandte Forschung bilden hier ein enges Netzwerk.“