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Abschiebung Vertrag unbefristet, Aufenthalt nicht

Seit zwölf Jahren lebt Karmen Nazaryan mit ihrer Familie in Magdeburg. Nun soll sie trotz Job abgeschoben werden.

13.06.2016, 01:01

Magdeburg l Das Schlimmste sei das Gefühl der Ungewissheit. Man wisse nie, wie lange man noch bleiben dürfe. „Ich habe immer gesagt, wenn ich mal überraschend nicht auf Arbeit komme und nicht ans Telefon gehe, wurde ich abgeschoben. Das war immer unser Witz“, sagt Karmen Nazaryan. Dass aus dem Witz einmal Realität werden würde, hätte sie nicht für möglich gehalten. Nicht nach all den Jahren.

Seit 2004 lebt die 28-Jährige gemeinsam mit ihren Eltern und ihrem Bruder in Magdeburg. Sie ging hier zur Schule, machte eine Ausbildung zur Pharmazeutisch-technischen Assistentin und fand eine unbefristete Anstellung in der Ratsapotheke am Ulrichsplatz bei Andreas Haese. „Sie ist eine hervorragende Mitarbeiterin. Als mich die Nachricht von der Abschiebung erreichte, fühlte ich mich wie überfahren. Ich hatte Herzrasen“, erinnert sich Haese, der sich an jenem Morgen sofort auf den Weg zur Ausländerbehörde machte und nur eine Frage hatte: „Warum?“.

An jenem frühen Morgen vor 14 Tagen stand die Polizei mit Mitarbeitern der Ausländerbehörde vor der Tür der Nazaryans und teilte in knappen Worten mit, dass die Zeit der Duldung vorbei sei. Die Familie wurde nach Berlin zum Flughafen gebracht. Die Abschiebung wurde nur verhindert, weil der Vater von Karmen Nazaryan im Flughafen zusammenbrach und Ärzte von dem Flug aus gesundheitlichen Gründen abrieten.

Am heutigen Montag hat Karmen Nazaryan wieder einen Termin bei der Ausländerbehörde. Ihre Duldung läuft erneut aus. „Ich weiß nicht, was ich noch machen soll“, sagt sie.

Die Familie kam 2004 nach Magdeburg. „Für uns Kinder völlig überstürzt“, wie sie sagt. In ihrer Heimat in Armenien gehörte die Familie zum Mittelstand. Der Vater hatte selbst eine Apotheke. „Uns ging es gut. Ich habe nicht verstanden, warum wir nach Deutschland gegangen sind“, sagt Karmen Nazaryan. Erst später hätten die Eltern ihr und ihrem Bruder den Grund erzählt. In ihrer Heimat wurde die Familie bedroht.

Noch immer fällt es Karmen Nazaryan schwer, darüber zu sprechen. Der Volksstimme erzählt sie die komplette Geschichte, bittet aber darum, dass nicht alles in der Zeitung steht. Noch heute hat die Familie Angst, in ihre Heimatstadt zurückzugehen.

Die Schleuser, die sie damals nach Deutschland brachten, rieten, beim Asylantrag zu sagen, dass die Familie aus dem Iran komme. So sei die Chance höher, als Flüchtling anerkannt zu werden. Karmen Nazaryan und ihre Bruder waren damals minderjährig, wussten nichts von der falschen Identität. Da die Eltern tatsächlich gebürtig aus dem Iran kommen, fiel es den Behörden auch nicht auf. Erst später kam die Wahrheit heraus – und mit ihr wich die Chance auf Asyl.

Denn rein rechtlich ist der Fall für die Ausländerbehörde klar. „Frau Karmen Nazaryan stellte nach ihrer Einreise gemeinsam mit den Eltern einen Asylantrag, welcher rechtskräftig abgelehnt wurde. In den Folgejahren waren verschiedene Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf Grund einer jahrelangen Identitätstäuschung der Familie abzulehnen. Die Entscheidungen wurden alle, zuletzt mit Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Sachsen Anhalt gerichtlich überprüft und bestätigt“, heißt es aus der Ausländerbehörde auf Nachfrage der Volksstimme.

Dabei hatte Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) im Juli 2015 im Interview mit der Volksstimme noch gesagt: „Etwas anderes ist es, wenn Menschen über viele Jahre hinweg in Kettenduldungen hier leben, ihre Kinder hier in die Schule gehen, sie also integriert sind: Da ist es nicht vermittelbar, diese Menschen noch abzuschieben.“

Nun will sich die Familie noch mal an die Härtefallkommission des Landes richten. Auch über einen Anwalt sollen noch mal alle Mittel ausgeschöpft werden. „Ich hoffe, dass wir bleiben können“, sagt Karmen Nazaryan. Deutschland sei jetzt ihre Heimat, sagt sie.