Barrierefreiheit Steiles Magdeburg

Nahverkehr, Kultur und Wohnen - Magdeburg hat Hürden über Hürden. Ein paar Beispiele, wo es mit der Barrierefreiheit noch hapert:

Von Katja Tessnow 29.06.2019, 01:01

Magdeburg l 18.000 Magdeburger leben mit schweren Behinderungen, fast 10.000 sind pflegebedürftig, mehr als 10.300 nur eingeschränkt mobil – die Abertausenden am Rollator oder am Kinderwagen gar nicht eingerechnet. Der Abbau von Barrieren rückt ins Zentrum öffentlichen Interesses.

Jahr für Jahr – seit 21 Jahren – trägt Hans-Peter Pischner Lob, auch viel Tadel und vor allem Sorge im Ratssaal vor. Das ist sein Amt. Pischner ist seit 1998 der Magdeburger Behindertenbeauftragte und legte jüngst seinen 21. Jahresbericht vor. Sein Fazit ist durchwachsen: Das Armutsrisiko für Behinderte bleibe hoch bis sehr hoch, weil der Arbeitsmarkt kaum Platz für sie hat. Das inklusive Lernen an der Schule werde infrage gestellt, weil es so, wie Schulen heute (vor allem personell) ausgestattet sind, nicht funktioniert.

An barrierefreien Wohnungen herrsche akuter Mangel, jedenfalls an bezahlbaren. Pischner beziffert einen Bedarf von rund eintausend rollstuhlgerechten und 10.000 seniorengerechten Wohnungen in Magdeburg – aktuell ungedeckt. Nahverkehrshaltestellen blieben ein Defizit-Dauerbrenner. 114 von 257 sind in Magdeburg ohne Hürden nutzbar. Generell, so Pischner, sei die Not zum Abbau von Barrieren heute – im Gegensatz zur Inklusion – unstrittig, die Umsetzung aber schwierig.

Die Mehrzahl der Gaststätten, viele Arztpraxen und eine Reihe anderer öffentlicher Einrichtungen in Magdeburg sind nicht erreichtbar, ohne Hürden – in der Regel Treppen – zu überwinden. Betroffene beschreiben Beispiele.

▶ Breiter Weg: Lothar Ilmer ist ein „bunter Hund“ unter den Magdeburger Rollifahrern, weil sehr viel in der Stadt unterwegs. Am Breiten Weg – zum Beispiel – scheitere er ohne Hilfe oft. Am Hasselbachplatz bergen Übergänge über gepflasterte Nebenstraßen Gefahren, ausgewuchtete Rillen an Straßen- oder Schienenrändern. „Und wo die Borde gut abgesenkt sind, stehen oft Falschparker im Weg.“ Ilmer bevorzugt den autofreien Nordabschnitt und freut sich auf dort weniger Schwellen nach der laufenden Erneuerung der MVB-Trasse.

Dommuseum: Das war als Aushängeschild in Sachen Barrierefreiheit gedacht und geplant, wurde aber nicht ganz so gebaut. Die Rampe neben dem Eingang erwies sich zunächst als zu steil im oberen Abschnitt. „Die DIN schreibt maximal sechs Prozent Gefälle vor, hier waren es mindestens acht“, sagt Rollstuhlfahrerin Irmgard Wandt; ein baulicher Fehler. Inzwischen wurde zweimal nachgebessert – zunächst an der Schräge, dann an einer dadurch entstandenen Schwelle. Mit dem Ergebnis war Tester Lothar Ilmer gestern sehr zufrieden: „Für mich ist das jetzt so in Ordnung.“

Moritzhof: Das gepflasterte Denkmal ist ein Problem für Menschen, die nicht gut zu Fuß sind, für Rollifahrer nicht nutzbar. „Ich war neulich zu einer Lesung und habe mich schon liegen sehen“, erzählt Kulturfreundin Irmgard Wandt. „Wir diskutieren seit Jahren über das Thema“, sagt der Behindertenbeauftragte. Der Baubeigeordnete verweist auf einen glatter gepflasterten Rand ums Feldsteinpflaster in der Mitte. Vom Rand aus wären selbst im Rollstuhl alle Kulturräume erreichbar.

Problem: Darauf sind ein Kartenverkaufsstand, ein Getränketresen und weitere Einrichtungen gebaut – kein Durchkommen. Der Behindertenbeauftragte wünscht sich – sensibel und ohne Schaden fürs Denkmal – die Integration von buckelfreiem Pflaster bis in die Mitte. Da stehen im Sommer Tische. Pischner: „Ein Rollstuhlfahrer will dort ja vielleicht auch mal sitzen dürfen und einen Wein trinken.“

Zoo Magdeburg: „Lebensgefährlich“ nennt Irmgard Wandt die Rampe zwischen Parkplatz (mit Behindertenstellplätzen) und Weg zur Zoopforte. „Ich habe mal versucht, rückwärts runterzukommen. Da wird der Rollstuhl zum Geschoss. Das hält selbst eine Assistenz nicht.“ Andererseits könnten Behinderte im Auto auch an absenkbare Poller und dann direkt vor den Eingang fahren. „Da aber fehlt eine erreichbare Klingel oder wenigstens ein Schild mit Rufnummer für Helfer.“ Rollstuhlfahrer, die allein im Auto am Zoo anlanden, müssten aussteigen, den Rollstuhl ausladen, zu einem rückwärtig und sonst unerreichbaren Klingelknopf fahren – drücken und alles wieder zurück. „Welch unsäglicher Zustand!“

So oder so: Irmgard Wandt und Lothar Ilmer lassen sich einfach nicht behindern. Irmgardt Wandt ist gerade im Urlaub in Island und schwärmt am Telefon von den Geysiren. „Ohne meinen Mann wäre das nicht möglich. Wir sind ein eingespieltes Team.“ Lothar Ilmer geht – oder besser rollt – jeden Morgen in ein Geschäft in der Innenstadt zum Frühstücken. Nachmittags testet er mit einer Bekannten just alle MVB-Strecken bis Endstelle: „Und dann laufen wir zurück“, erzählt Ilmer und lacht dabei selbst, „also sie.“ Allerdings wäre er bei diesem Test allein oft aufgeschmissen.

So geht es Tausenden ín der Stadt und nicht alle haben so gute Freunde wie Ilmer oder den fürsorglichen Mann von Frau Wandt. Das ist beiden bewusst, weshalb sie zu Vorkämpfern der barrierefreien Stadt wurden. Nicht nur zum Selbstzweck. „Die Rampe am Bahnhof, auf die wir bestanden haben, auch wenn es Fahrstühle gibt, wird massenhaft von Radfahrern, Familien mit Kinderwagen und Reisenden mit Rollkoffern genutzt.“ Eine Stadt ohne Barrieren ist für alle gut.