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Bildung Azubis müssen nachsitzen

Unternehmen sehen sich gezwungen, Jugendliche auszubilden, die den Anforderungen nicht gerecht werden. Daher schicken sie sie zur Nachhilfe.

Von Karolin Aertel 12.08.2019, 01:01

Magdeburg l Händeringend suchen Unternehmen nach Nachwuchs. Im Notfall nehmen sie, wen sie kriegen können. Schlechte Zeugnisnoten sind schon lange kein Ausschlusskriterium mehr. Jugendliche, die vor ein paar Jahren noch keine Chance auf dem Ausbildungsmarkt hatten, werden in Berufen untergebracht, für die sie nicht qualifiziert sind. Das Ergebnis: Spätestens in der Berufsschule brechen sie ein. Sie schaffen es nicht, die Defizite auszugleichen.

„Immer mehr Azubis benötigen daher Nachhilfeunterricht“, weiß Michaela Heil, Standortleiterin der Deutschen Angestellten-Akademie (DAA). Es fehle den Lehrlingen an Grundlagenwissen, nicht selten auch an der Fähigkeit zu lernen. 190 Plätze hat sie in ihrem Haus zur Verfügung. Zehn Festangestellte Lehrkräfte und zig freie Dozenten kümmern sich um die Auszubildenden. Die Plätze reichen schon lange nicht mehr. Es gibt Wartelisten. Die Kosten fürs Nachsitzen – Ausbildungsbegleitende Hilfen genannt – trägt die Agentur für Arbeit. Über sie findet auch die Vermittlung zum Träger DAA statt. Doch immer mehr Firmen sehen den dringenden Handlungsbedarf bei ihren Lehrlingen und zahlen das Nachsitzen notfalls selbst.

Kathrin Leonhardt arbeitet seit 20 Jahren als „Nachhilfelehrerin“, war schon bei verschiedenen Trägern. Sie selbst kommt aus der Metallbranche und gibt in derselben Nachhilfe. „Früher hätte ein Jugendlicher mit Hauptschulabschluss keinen Platz als Mechatroniker bekommen“, weiß sie. Heute hat sie genau diese auf der „Schulbank“. „In den ersten Jahren – Ende der Neunziger – hatten wir lernschwache Azubis.“

Heute sei das Niveau stark gesunken. „Das Anforderungsniveau, was man den Azubis zumuten kann, ist niedrig. Sie wollen viel Geld verdienen und wenig dafür tun.“ Es gebe aber auch die, die in der Praxis gut sind, in der Theorie jedoch nicht. „Das führt dazu, dass immer mehr Firmen direkt den Kontakt zu uns suchen. Sie sehen das Potenzial und wollen ihren Lehrling irgendwie durchkriegen.“

Und dann gebe es noch die Migranten. Sie machen inzwischen gut 25 Prozent der Schüler aus. Ihre Probleme seien weniger die Disziplin oder der Wille zu lernen, sondern die Deutschkenntnisse. So wie bei Ahmed Jahjah. Der 19-Jährige, der vor fünf Jahren aus Syrien nach Magdeburg kam, begann im September vergangenen Jahres eine Ausbildung als Mechatroniker bei den Magdeburger Verkehrsbetrieben. Sein Deutsch ist gut, er kann sich normal unterhalten. Was ihm jedoch Schwierigkeiten bereitet, sind Fachbegriffe und Formulierungen, deren Sinn ein Wort oder eine Wortstellung verändert. Es gilt/ es gilt nicht/ es gilt nur dann ... – für Ahmed sind die Unterschiede schwer zu erkennen. In den Prüfungen machen sie jedoch den Unterschied. Kathrin Leonhardt übt geduldig mit ihm. Zurzeit zweimal pro Woche a drei Stunden.

In Syrien hatte Ahmed seinen Zehnte-Klasse-Abschluss gemacht. In Deutschland wurde er nicht anerkannt, so dass er die Zehnte wiederholte und seien Realschulabschluss machte. Schon nach zwei Monaten in der Ausbildung hat er gemerkt, dass sein Deutsch zu schwach ist. „Ich brauche, um die Texte und Fragen zu verstehen, das Dreifache an Zeit“, erklärt er. Sein Nachbar habe ihn dann auf die Möglichkeit der geförderten Nachhilfe aufmerksam gemacht. „Ich wusste, dass ich Hilfe brauche.“

Kathrin Leonhardt ist zuversichtlich, dass Ahmed den Abschluss schafft. „Wir versuchen alles, unsere Azubis durchzukriegen.“ Dazu gehöre es unter Umständen auch, bei der Wohnungssuche behilflich zu sein, sie bei Behördengängen oder zur Drogentherapie zu begleiten. „Sie kriegen tatsächlich ein Rundumpaket.“

Früher habe die DAA eine Vermittlungsquote von 95 Prozent gehabt, erklärt Michaela Heil. Inzwischen seien es etwa 80 Prozent, die nach abgeschlossener Ausbildung ein Arbeitsverhältnis bekommen. Das sei dem veränderten Klientel zu schulden.

Zu Spitzenzeiten habe sie in 36 verschiedenen Berufsgruppen Nachhilfe gegeben. Zurzeit betreuen sie vor allem Büro- sowie Groß- und Außenhandelskaufleute, IT-Sytemelektroniker, viele Gleisbauer und Optiker.