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Domprediger Quast Menschenfreund von Gottes Gnaden

Mit 28 Jahren tritt Giselher Quast 1979 sein Amt als Domprediger in Magdeburg an. An diesem Wochenende geht er in den Ruhestand.

Von Katja Tessnow 24.06.2016, 01:01

Magdeburg l Seine Berufswahl hat Giselher Quast nie bereut. „Ich habe schon als Kind auf der Kirchentreppe meines Vaters in Dresden die Gottesdienstbesucher erwartet und erzählt, dass ich auch Pastor werden will.“ Später hätten Freunde ihm geraten, dass Musiker oder Maler auch etwas für ihn wäre. „Ich habe mir gedacht, wenn ich Musiker werde, kann ich Pfarrer nicht nebenbei machen, aber wenn ich Pfarrer werde, kann ich alles tun.“

Bis heute gerät Giselher Quast ins Schwärmen über seinen Beruf. Den auszuüben, hat er sich nie leicht gemacht – und andere es ihm nicht. Ab Dienstantritt stand Quast im Visier der Staatssicherheit. Der erste über ihn eröffnete Vorgang warf ihm die „pazifistische Beeinflussung der Jugend“ vor. „Dabei wussten die Jugendlichen schon damals sehr genau, was sie wollten.“ Zum Beispiel, wie Quast, dass „Schwerter zu Pflugscharen“ würden.

Quast ist bekennender Pazifist, nennt die Friedensarbeit bis heute ein Arbeitsfeld, das ihm neben der Jugendarbeit am wichtigsten ist, und macht sich damit – mit seiner radikalen Kritik an Rüstungsexporten und Kriegseinsätzen – auch heute nicht nur Freunde. Nach zwei Jahrzehnten der Standhaftigkeit in der DDR steht Quast zwei Jahrzehnte nach der Wende knapp vor seinem Rauswurf als Domprediger. Öffentliche Proteste und breite Unterstützung in der heute mehr als 1500 Mitglieder zählenden Domgemeinde verhindern zwar seine Abberufung, aber der Vorgang mutet bis heute unerhört an.

Eine Gruppe von Mitgliedern des Gemeindekirchenrates und der damalige Personaldezernent strebten 2010 die Absetzung Quasts wegen „Ungedeihlichkeit“ an. Heißt: Teile der Gemeinde können nicht mehr mit Quast, also muss der gehen. Hintergrund waren Konflikte um die Vermarktung des Doms. Vermutet wurden aber auch Differenzen über die Ausrichtung der Kirche heute und Quasts Predigten, in denen er gestern wie heute keinen Mächtigen verschont, aktuellpolitische und gesellschaftliche Probleme anprangert. Seiner Sozialismuskritik lässt er Kapitalismuskritik folgen. Besonders seine alljährliche Weihnachtspredigt nutzt Quast, um sein Ungemach über den Zustand der Welt herauszuschreien und kommt zum immer gleichen Schluss: Was der Mensch bis heute aus der Welt gemacht hat, ist nicht im Sinne des Gottessohnes, der sich auf die Seite der Niedrigsten und Schwächsten stellt. Quast will genau da auch stehen.

Zu DDR-Zeiten, als vor allem die Machtlosen in die Kirche gekommen seien, habe er die Kirchenarbeit als vergleichsweise einfach empfunden, allen staatlichen Behinderungsversuchen zum Trotz. Inzwischen mischten sich „alle Menschenschichten“ in der Domgemeinde, solche ohne eine Stimme, die in der Gesellschaft Gehör findet, und solche mit Einfluss. Machtkämpfe drehen sich zum Beispiel um die kommerzielle Vermarktung des Doms und wie weit sie gehen darf.

„Schon als zehnjähriger Junge in Kniestrümpfen, als ich im Domchor die Matthäus-Passion von Bach singen durfte, habe ich Ehrfurcht vor dem Dom gewonnen. Sie ist mir geblieben in meinem Kampf darum, den Dom sein zu lassen, wofür er gebaut ist. Dieser Dom ist dem Gottesdienst gewidmet, weder dem Tourismus noch der Kulturvermarktung.“ Zwar wollte Quast den Dom („ein auratischer Ort“) immer auch weit über den religiösen Bereich für die Öffentlichkeit erlebbar machen – zum Beispiel mit der Nacht der Lichter, der Kirchennacht oder den Domfestspielen. „Für mich ist es aber ein großer Unterschied, ob wir uns als Kirche öffnen und sagen, die lassen wir rein, das wollen wir vermitteln oder ob andere Begehrlichkeiten haben.“

Quast erzählt, wie schon um 1990 die italienischen Autobauer von Alfa Romeo bei ihm anklingelten und einen Werbespot im Dom drehen wollten. Nein! Genauso wenig wollte er ihn zur Hauskapelle der Landesregierung verkommen lassen und ärgerte sich über den ersten Ministerpräsidenten Gerd Gies, der sich beim Landtagsgebet medienwirksam in Szene gesetzt habe. „Das war damals opportun und Opportunität will ich nicht fördern.“

Stattdessen begrüßt Quast gerne die anno 2002 noch leidgeplagten FCM-Fans unterm Dach des Gotteshauses und betet mit ihnen für das Überleben des Vereins. „Die Fußballfans kamen in höchster Not, weil ihr Verein krachen ging. Er ging trotz der Gebete krachen, aber sie haben bis heute nicht vergessen, dass wir ihnen damals zur Seite standen.“ Bikergottesdienste, Tiergottesdienste, Andachten von Elbeschützern gegen den Flussausbau und von Arbeitslosen gegen Hartz IV – Quast öffnet gerne allen die Domtüren, die eine Leidenschaft in sich tragen, für die sie göttlichen Beistand suchen. Eine Kirche ohne Kontroverse, „eine Kirche, die keinem wehtun soll“, sei seine Sache nicht, jedenfalls nicht um den Preis der Aufgabe klarer Positionen. „Kirche ist Bewahrer von Traditionen und hat zugleich ein Wächteramt. In dem ist sie kritisch und schwimmt gegen den Strom. Das prophetisch Mahnende war mir immer wichtiger Bestandteil meiner Arbeit.“

Am Sonntag predigt Quast zum letzten Mal im Dom. Und dann? „Ich bereite den Kirchentag 2017 in Magdeburg mit vor, bleibe Vorsitzender des Friedensarbeitskreises am Dom und Schirmherr von Pro Elbe. Ich werde in Magdeburg überall, wo Vertretung nötig ist, predigen, aber nicht mehr im Dom.“ Als sicher darf angenommen werden, dass Quast sich weiter einmischen wird in gesellschaftliche Debatten. „Und ich möchte noch Französisch lernen. Ich höre mein Leben lang gerne französische Chansons und verstehe nie ein Wort.“