Einzelhandel Der Klopapier-Kollaps

Vom unbegreiflichen Ansturm aufs Toilettenpapier und wie er sich selbst potenziert. Ein Erfahrungsbericht.

Von Katja Tessnow 21.03.2020, 10:00

Magdeburg l Das Phänomen scheint unbegreiflich, ist aber international gegenwärtig. Menschen stürmen das Toilettenpapier-Regal. Die Magdeburger stürmen mit. Vom Versuch, in diesen Tagen eine Packung Klopapier zu erstehen.

 „Wir haben so viel, wir können zehn Jahre kacken.“ Zu dieser robust-fäkalen Aussage ließ sich kein Geringerer als der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hinreißen, als er just dienstlich und in volksberuhigender Mission einen heimischen Supermarkt besuchte und eine Frau ihn frage, ob er selbst eigentlich noch genug Klopapier habe. Ein Video der Szene findet sich im Internet. Herr Präsident bezog seine Aussage nicht aufs heimische Lager, sondern auf die gefüllten Lager der Niederlande. Das soll in Deutschland nicht anders sein und die leeren Supermarktregale ein rein logistisches Problem in Zeiten einer unerwartet hohen Nachfrage am Markt.

Wie scharf man auf Toilettenpapier werden kann, weiß ich erst seit etwa einer Woche.

Am Freitag, den 13., beginnt meine persönliche Odyssee in Magdeburg. Ich habe am frühen Abend ein paar Erledigungen in der Innenstadt zu verrichten und denke mir: Klopapier könnte knapp werden übers Wochenende ... Gerade stehe ich vor der dm-Filiale im Breiten Weg. Mein Sohn lacht auf, als wir in die Nähe der Regale kommen, vor denen er sich oft gefragt hat, ob die Menschheit so viele verschiedene Papiersorten wirklich braucht, um sich den Allerwertesten zu wienern. Leere! Oh! An dem, was ich bisher für ein Gerücht oder eine Ausnahme hielt, scheint was dran. Mein Sohn fragt eine Verkäuferin, ob wir etwas übersehen haben. Nein, die nächste Lieferung sei erst am Dienstag in Sicht.

Im Karstadt-Warenhaus und in der Drogerie Müller wiederholt sich das Erlebte. Wir geben auf und sparen übers Wochenende ein bisschen. Der Zeitungsstapel im Flur verschafft mir Entspannung. Hat Oma auch ... Naja.

Bei einem Kurzeinkauf in Cracauer (Magdeburger Stadtteil) Supermarkt eile ich schon nur noch mit einem gelassenen Hab-ich’s-doch-geahnt-Nicken an den leeren Papierregalen vorbei. Vermutlich wird Klopapier überall erst dienstags geliefert?

Im Homeoffice und mit Kind zu Hause habe ich nicht alle Zeit für Einkäufe. Wir begeben uns erst am Abend an die Luft, tief durchatmen. Mensch, fällt uns ein: Dienstag! Wir steuern den Norma in Cracau an – nichts, dann den Edeka – nichts, dann Rossmann gleich gegenüber. Dort kommt uns eine Kundin entgegen, die einer Beute gleich zwei XXL-Packungen Sie-wissen-schon-was trägt. „Oh, hier gibt’s was“, jubiliere ich beim Eintritt in die Filiale. Den komischen Blick einer Kassiererin weiß ich nicht zu deuten, noch nicht. Im Regal – Leere, davor kopfschüttelnde Kunden. Aber da war doch eben ...

Eine freundliche Verkäuferin erklärt, das sei ihre Freundin gewesen, der sie halt etwas zurückgelegt hätte. Der Rest der heutigen Lieferung sei bereits um 8.11 Uhr vergriffen gewesen, elf Minuten nach Ladenöffnung. Das nächste Mal sei Toilettenpapier erst am Freitag wieder im Angebot, „am besten kommen Sie gleich um acht“. Kunden zetern. Sie gingen arbeiten. Vollzeit. Sie wollen reservieren. Keine Chance. Taschentücher werden jetzt auch knapp. Kosmetiktücher, Küchentücher ... alles, was geht.

Mein Vater erzählt am Telefon, er hätte eben Toilettenpapier im Florapark gekauft. Einfach so! Er würde nachher noch mal für mich ... Kollegen bieten Hilfe an und wollen ein paar Rollen spenden. Das Thema zieht sich durch weite Freundeskreise im Internet. Eine Rolle Klopapier wird zum Freundschaftsbeweis. Überall im Internet kursieren Bilder von leeren Regalen, auch einzelne mit vollen, glückselige Menschen davor.

Mein Vater sagt, das Papier im Florapark war alle, aber sie könnten abgeben. Wir lachen. Wir haben zuvor nie im Leben über Klopapier gesprochen. Wir unternehmen heute gar nichts weiter. Denn erstens geht das mit der Zeitung wirklich und zweitens ist morgen Freitag. Da soll Rossmann ab 8 Uhr ... Ich stelle den Wecker.

Mein Sohn weckt mich kurz vor sieben und sagt: „Also ich achte auf die Uhr!“ Die Ruhe! Wir sind fünf vor acht am Laden und nicht die Ersten. Etwa 20 weitere Kunden warten, es werden immer mehr. „Bananen hinten links“, begrüßt eine Verkäuferin die Meute. Alle schlagen eine Richtung ein. Wir kaufen zwei Packungen obwohl wir zu zweit vier mitnehmen dürften.

Ich habe noch nie im Leben zwei Packungen Klopapier auf einmal gekauft.