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Evakuierung Vom Tiefschlaf ins Notquartier

Ein Sprengstoff-Verdacht vor einem Polizeigebäude in Magdeburg löste einen Großeinsatz aus. Für Anwohner herrschte Ausnahmezustand.

Von Christina Bendigs 19.12.2016, 00:01

Magdeburgl Gegen 14.30  Uhr klingelt es bei Familie Rochel an der Tür. Draußen steht ein Polizeibeamter. Er erklärt der Familie, dass sie das Haus sofort verlassen müsse, da es an der Leipziger Straße einen Sprengstoffverdacht gibt. Die Eltern holen ihre beiden kleinen Kinder sofort aus dem Bett, greifen noch ein paar Kinderbücher und ein Kuscheltier und schon stehen sie vor der Tür. „Das haben wir wirklich noch nicht erlebt“, sagt Vater Thomas Rochel. Zunächst bleibt die Familie in der Nähe, denn die Hoffnung ist groß, dass sich der Fund vor dem Polizeigebäude an der Leipziger Straße schnell aufklärt.

Bei Benjamin Kobelt vom Johanniter Katastrophenschutz klingelt etwa zur gleichen Zeit das Telefon. Der ehrenamtliche Helfer ist gerade auf dem Weg in die Therme nach Schönebeck. Doch wenn seine Hilfe gebraucht wird, ist es für den jungen Mann selbstverständlich, dass er zur Stelle ist. „Man ist mit dem Ehrenamt auch eine Verpflichtung eingegangen, und gerade am Wochenende kann es sein, dass viele Studenten nicht in der Stadt sind“, sagt er. Logisch, dass er umkehrt und kurze Zeit später mit 17 Kollegen im Notquartier in der Grundschule Leipziger Straße steht, um bei der Betreuung und Versorgung von Menschen zu helfen, die ihre Wohnungen wegen des verdächtigen Fundes verlassen mussten. In der Grundschule trifft gegen 16  Uhr, reichlich durchgefroren, auch Familie Rochel mit ihren beiden Kindern ein.

Malte Bundus und Sandra Pieper nehmen die Familie in die Registrierungsliste auf. Name und genaue Anschrift müssen angegeben werden. Dann darf die Familie einen der Umkleideräume in der Turnhalle aufsuchen.

„Viele Menschen konnten bei Freunden oder Verwandten unterkommen“, sagt Benjamin Kobelt. Dadurch ist es im Notquartier ruhig. 27 Menschen nehmen die Johanniter an diesem Nachmittag auf.

Probleme gibt es nicht. „Und wir hoffen, dass sich die Lage schnell aufklärt“, sagt Kobelt. Denn ansonsten müssten die Johanniter überlegen, ob der Betreuungsdienst, der Speisen und Getränke zubereitet, ins Quartier kommen muss, oder ob sich das Ereignis über die Nacht hinausstrecken wird und Betten gebraucht werden. Bei einer Zuspitzung der Lage könnten die Johanniter viele Helfer nachalarmieren – von den Maltesern, der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft, dem Deutschen Roten Kreuz und dem Arbeiter-Samariter-Bund. Auch diese Organisationen sind am Sonnabend informiert und können gegebenenfalls noch angefordert werden. Das Notquartier ist am Sonnabend strategisch günstig gelegen. Denn mit der nahe gelegenen Uni-Klinik könnten medizinische Versorgungsengpässe – etwa wenn einer der Aufgenommenen Diabetiker ist und sein Insulin nicht dabei hat – gut und schnell versorgt werden.

Im Notquartier kommt nun eine ältere Dame an. Christa Thiede nimmt die Ereignisse mit Humor. Sich zu ärgern würde ja auch nichts bringen. Sie war am Sonnabend zu einem Tagesausflug unterwegs. Als sie zurückkehrte konnte sie ihr Auto zwar noch in der nahe gelegenen Garage abstellen, aber zu ihrem Wohnhaus kam sie nicht mehr durch. Mit mehreren Beuteln bepackt ging sie daher in das Notquartier in der Grundschule an der Leipziger Straße. „Angst habe ich nicht“, sagt sie. „Hauptsache mein Haus bleibt stehen und ganz.“

Etwaige Sorgen stellen sich später auch als unbegründet heraus. Denn bei den Sachen, die vor dem Polizeigebäude abgestellt wurden, handelte es sich um die Habseligkeiten eines 38-jährigen Ungaren, der sie vor dem Polizeigebäude abgelegt hatte.

Gegen 16.30  Uhr konnten die Anwohner des evakuierten Wohngebietes wieder zurück in ihre Wohnungen und Häuser.