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Familienheiligtum Die 14 aus dem Sudetenland

Immer in der Vorweihnachtszeit verwandelt sich die Lippertsche Villa in Magdeburg in eine Plätzchenbäckerei. Denn Klaus Vogler backt jedes Jahr 14 Rezepte seiner Urgroßmutter.

Von Christina Bendigs 23.12.2016, 00:01

Magdeburg l Eine ganz besondere Weihnachtstradition gibt es im Hause Vogler an der Steinigstraße. Galerist Klaus Vogler, der in der Lippertschen Villa lebt und dort auch seine Ausstellungsräume hat, backt jedes Jahr 14 verschiedene Plätzchenteige. Ob Marmeladenkränzchen, Gewürzkarten, Luftbäckerei oder Branntweinkränzchen, Busserln oder Nuss-stangerln, Vanillebutter oder Kokosmakronen, Klaus Vogler backt sie alle – obwohl manche gar nicht gebacken werden müssen. Und wer schon einmal Plätzchen gebacken hat, der weiß: Das ist ein ziemlich aufwendiger Weihnachtsspaß, den Klaus Vogler da jedes Jahr zelebriert. „Ich mache dann immer mal zwei pro Abend“, erzählt er. Die fertigen Weihnachtsleckereien verstaut er dann in Tonkrügen. Und wenn sie alle fertig sind, nimmt er sie mit zur Familienweihnachtsfeier.

Das Backen der Teige dürfte in Klaus Vogler auch Erinnerungen wecken. Denn die Rezepte stehen auf Papier, das schon eine 71-jährige Geschichte hat. Mit Schreibmaschine getippt. „Als meine Mutter und mein Vater 1945 geflüchtet sind, hat sie das Rezeptbuch meiner Urgroßmutter abgetippt“, erzählt Vogler. Am 30. Mai 1945 hat sie noch geheiratet, zwei Tage später wollten sie flüchten. Da aber die Großeltern in Citolib im Sudetenland bleiben wollten und glaubten, sie könnten dort bleiben, blieb das Backbuch mit Großmutters Rezepten dort. Heute sind die getippten Seiten das einzige alte Relikt dieses Backbuches. Denn auch die Großeltern mussten ihre Heimat schließlich verlassen. Mitnehmen konnten sie nur das Notwendigste. Das alte handgeschriebene Rezeptbuch von Klaus Voglers Urgroßmutter blieb dort.

Zunächst in Burg und später in Magdeburg wurde die Familie von Klaus Vogler schließlich ansässig. Bereits ab 1946 wurden dort zu Weihnachten die alten Plätzchenrezepte aus der Heimat wieder gebacken. Die vergilbten Seiten aus der Schreibmaschinen-Version nutzt Vogler heute aber kaum noch. Einer seiner Neffen hat die Rezepte erneut abgetippt und sie noch einmal ausgedruckt. Und etwas mehr Erklärung, als in dem Rezeptbuch vorhanden ist, bedürfe es auch. Das hat sich Klaus Vogler für die nächsten Jahre vorgenommen. Denn seine Schwägerin wollte die Rezepte ebenfalls nachbacken. Geglückt ist das aber nicht in jedem Fall. Einer der Teige zum Beispiel wurde zu einem Blechkuchen. Kein Wunder. „Früher hat man die Plätzchen jedes Jahr gebacken. Und von Generation zu Generation wurde weitergegeben, wie der Teig bereitet und anschließend zu Keksen wird“, erzählt Klaus Vogler. Auch er hat es von seiner Mutter quasi in die Wiege gelegt bekommen. Erinnerungen an manches Weihnachtsfest werden beim Backen auch immer wieder wach. Große Geschenke, wie es heutzutage häufig der Fall ist, gab es nicht. Der Weihnachtsbaum der Familie etwa wurde mit Schokolade geschmückt. Höhepunkt des Weihnachtsfestes war, dass sich jedes Kind an jedem Abend der drei Weihnachtstage eine Schokolade vom Baum nehmen durfte. „Das hat sich wirklich völlig gewandelt“, sagt er.

Alle, die die leckeren Plätzchen kosten wollen, können am Sonntag, 8.  Januar, in die Galerie Stadtfelder Schlossküche kommen. Denn dort werden ab diesem Tag nach der „Akte im Exil“-Ausstellung nicht nur die Bilder von Fahrradständern erstmals wieder gezeigt, sondern Klaus Vogler lädt von 14 bis 17 Uhr auch zum Resteknabbern.