Fitness und Balance Yoga auf der Elbe

Yogalehrerin Ines Wedler zeigt den Weg zu innerer Balance - auch mal auf der Elbe in Magdeburg.

Von Kathrin Wöhler 30.09.2018, 17:24

Kinder streben intuitiv nach Balance. Sie weichen zurück, wenn es zu laut, zu dicht, zu schnell wird. Sie fragen, was sie nicht verstehen. Sie spielen selbstvergessen. Egal, was andere darüber denken.

Ines Wedler hat sich diese Eigenschaften erhalten. Man kann sich des Gefühls nicht erwehren, darin eine Gabe zu sehen, es ihr gar zu neiden. In sich gekehrt steht sie auf ihrem Surfboard inmitten der Alten Elbe, kein Platschen des Wassers ist zu hören. Ein Lächeln liegt auf ihren Lippen, ein Bild der Ruhe. Dabei glich ihr Lebensweg eher dem eines aufgeschreckten Huhns. Wie hat es die 48-Jährige bis hierher geschafft?

Ines Wedler verkauft erst Bücher in Jena, dann zieht sie mit ihrem damaligen Mann in die Nähe von Aschersleben, im Gepäck der Traum vom Bauernhof. Im Ort gibt es keinen Buchladen, die Stelle an der Kartoffelsortiermaschine lehnt sie ab. Bleibt die Zoohandlung. Die junge Frau reicht Goldfische und Guppies über den Ladentisch, nach der Wende Whiskas und Büffelpansen. Als die beiden Kinder zur Welt kommen, geht sie nachts Post sortieren. Und manchmal putzen. Der Kredit für das Haus verlangt solche Opfer. Doch die einsamen Stunden nagen an ihr, sie greift zu, als die Sparkasse ein Callcenter eröffnet. Fünf Jahre lang betreut sie fortan Kunden am Telefon.

Eine Druckerei wird auf sie aufmerksam, wirbt sie ab. Kopfschütteln. Einen Job bei der Sparkasse wirft man nicht hin, sagen die Leute, Ines Wedler kümmert das nicht. Seit 18 Jahren berät sie nun Firmen im Außendienst, lässt sich nebenher zum Kommunikationswirt ausbilden. Sie arbeitet hart, die Ehe leidet darunter. Doch Ines Wedler geht und geht, immer weiter, neue Abenteuer, sie lebt im Jetzt. Treibt Sport, entdeckt Yoga für sich. Für die Kinder bleibt sie noch einige Jahre im Dorf wohnen, verliebt sich aber in den Magdeburger Niels Wedler, heiratet erneut.

Heute arbeitet sie drei Tage pro Woche für die Druckerei, der Rest gehört dem Yoga, Ines Wedlers persönlichem Fantasialand. Aus der Yogaschülerin ist eine Yogalehrerin geworden, etliche Nächte, Wochenenden und Gratisstunden zum Üben hat sie dafür aufgebracht. An drei Abenden gibt sie von 17 bis 21 Uhr Stunden, sonnabends und sonntags kommen Workshops hinzu. Sie steht im Dunkeln auf und knipst erst wieder nachts das Licht aus. Und doch erzählt dieser Text nichts über Stress und dessen Abbau, sondern über das Vermögen, mit all dem in Balance zu leben. Gar: glücklich zu sein.

Das beginnt schon am Morgen. Bevor die Pflicht ruft – da ist Ines Wedler so erwachsen wie jeder andere Berufstätige auch – , liegt die zierliche Frau ganz still in ihrem Bett und sortiert sich. Sie nennt das die Zeit zwischen ich-werde-wach und ich-stehe-auf. Welches Mantra gebe ich meinen Schülern heute mit? Wie überzeuge ich meinen neuen Kunden in der Druckerei? Danach praktiziert sie drei Sonnengrüße auf der Matte, eine flotte Sequenz, die ihren Körper durchbewegt. Niemand rät ihr das, es passiert, weil sie ihre Bedürfnisse hören kann.

Dieses Hinhören beantwortet ihr alle ihre Fragen: Will ich ein Butterbrot – oder ist es eher der Apfel? Brauche ich jetzt meine Couch – oder noch mal das Fachbuch? Traue ich mir das Kundengespräch überhaupt zu? Die Vernunft würde sagen: Apfel, der Appetit sagt: Bockwurst. Aber Ines Wedlers Körper sagt manchmal einfach: Schokolade. Es gab Zeiten, da aß sie zwei Tafeln am Tag. Das konnte nicht richtig sein! Also ging sie zu einer Hypnotiseurin, wollte sich die Schokolade ausreden lassen. Aber ich bekam nur die Antwort, es sei eben meine Art, die Süße ins Leben zu holen. Das wollte ich nicht glauben. Ich habe dann diese Lust zugelassen, sie mir verziehen. Seither esse ich kaum noch Schokolade.

Ines Wedler beendet solche Sätze mit ihrem Mädchenlächeln, ein sanftes, im Ton hüpfendes Schmunzeln. Es schwingt sogar eine kleine Verwunderung mit, weil alles eben so ist, wie es ist. Vernunft, Einsicht, Norm – in diesen Kategorien denkt Ines Wedler kaum. Sie geht offen auf das zu, was ihr Freude macht, und zieht den Umweg der Umkehr vor. Wenn sie bei ihren Kunden in der Druckerei die Wahl hat, verhandelt sie lieber mit Frauen. Beim Lesen schafft sie oft kaum die täglichen zehn Minuten, die sie sich für Fachliteratur auferlegt hat – und belohnt sich mit zwei Stunden Belletristik. Sie setzt Bücher auf Parkbänken aus und verschenkt ihr Hab und Gut, kauft aber leidenschaftlich gern Yogahosen.

Es fällt nicht schwer, sie als kleines Mädchen bei ihrem Großvater in der Druckerei zu sehen, beim Wandern oder im Bienenhaus. Aus dem Einzelkind, das gern mit einem Buch verduftet, ist eine Erwachsene geworden, die noch immer versonnen und unerschrocken in die Zukunft schaut. Sie hat nie eine beste Freundin gesucht, wozu, sagt sie und lächelt ihr verwundertes Lächeln. Ich ruckele mir alles selbst zurecht, oft beim Laufen. Es bringt sie ins Gleichgewicht, wenn die Welt überschwappt: Zu viele Fahrkilometer zu den Kunden, zu viel Schreibkram, zu viele Stimmen.

Das allein stehende Schweizer Haus mitten im Magdeburger Stadtpark, in dem sie mit ihrem Mann Niels lebt und für dessen Verein Sportraum e.V. sie Kurse gibt, passt perfekt zu dieser Frau: Es hat Hochwasser überstanden und war, vom SCM aufgegeben, dem Abriss näher als der Sanierung. Niels Wedler, langjähriger Leiter des SCM-Gesundheitssports, investierte kräftig und übernahm die ehemalige Heimstätte der Ruderer 2017. Beide lieben das alte Bootshaus, das so viel erlebt hat, und doch sagt Ines Wedler: Ich würde sofort alles aufgeben und in ein anderes Land gehen. Jede Veränderung ist willkommen. Aber wenn das schiefgeht? Natürlich wird alles gut – wieso denn nicht? Große Augen, kleine Verwunderung, Mädchenlächeln.

Sie nimmt die Menschen schnell für sich ein. Verkaufstalent, sagen die Chefs. Fragt offen und ohne Hintergedanken, duzt, empfängt die Teilnehmer wie gute Freunde. Ja, letztlich verkaufe ich als Yogalehrerin natürlich auch etwas, überlegt sie, nippt am Brennnesseltee. Ich möchte, dass meine Yogaschüler wiederkommen. Im Grunde bin ich egoistisch: Ich mache das alles für mich! Ich fühle mich so gut in den Stunden, manchmal fasse ich mein Glück gar nicht. Ich darf weitergeben, was ich kann und weiß.

In einer Gesellschaft aus Getriebenen bedarf es keines Scharfsinns, um den Bedarf an Menschen wie Ines Wedler zu erkennen, die noch hinhören, Mangel erkennen können. Immer Input, Input, Input, sagt Ines Wedler, schon in der Endentspannung wieder beim Einkaufszettel – wie will man da innerlich wachsen. Ich habe trotzdem keine Mission. Wer hier nur Sport durch Yoga machen will, ist genauso willkommen wie aktiv Praktizierende. Wenn ich dann spüre, dass nach der 3. oder 4. Stunde doch etwas ankommt, das über den Sport hinausgeht, macht mich das froh. Manchmal reicht schon ein Mantra: „Ich fühle – einatmen – mich gut – ausatmen.“ Dann hat man drei Sekunden Ruhe. Zeit, seine Mitte zu finden. Sich auszubalancieren. Wie ein Kind auf der Bordsteinkante.