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Forschung Magdeburger Viruszucht für die Gesundheit

Magdeburger Forscher des Max-Planck-Instituts sind einem Verfahren auf der Spur, das die Impfstoffherstellung revolutionieren soll.

Von Martin Rieß 02.12.2018, 07:16

Magdeburg l Die Versorgung mit Impfstoffen könnte dank der Forschungsergebnisse aus Magdeburg sicherer werden. Die Magdeburger Forscher entwickeln dabei Methoden, mit denen sich Viren für Impfstoffe in deutlich höherer Konzentration vermehren lassen als bislang. Die Forscher produzieren die Krankheitserreger dabei in Zellkulturen in kleinen Bioreaktoren.

Bei der Produktion von Impfstoffen kommt es häufig zu Komplikationen und Engpässen. Da die Herstellung Jahre im Voraus geplant werden muss, haben geänderte Impfempfehlungen, Qualitätsmängel oder auch ökonomisches Kalkül der wenigen Unternehmen im Impfstoffmarkt weitreichende Folgen für die Versorgung mit den schützenden Substanzen. So verkündete das US-amerikanische Center for Disease Control im April 2017, dass der einzige lizenzierte Impfstoff gegen Gelbfieber in den Vereinigten Staaten bis Ende 2018 nicht mehr verfügbar sein würde. Als Alternative wurde zwar ein Mittel angeboten, das in den USA nicht lizenziert ist.

Bei einer Epidemie kann die eingeschränkte Verfügbarkeit eines wirkungsvollen Impfstoffes aber gefährlich werden: Während einer Gelbfieberepidemie 2016 in Angola und im Kongo etwa infizierten sich Tausende Menschen. Der Impfstoff-Vorrat der Weltgesundheitsorganisation wurde so knapp, dass die Helfer Gefährdete mit nur einem Fünftel der üblichen Dosis impfen mussten.

Das Team um Yvonne Genzel und Alexander Nikolay vom Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg arbeitet daran, dass solche Probleme künftig nicht mehr auftreten. Die Forscher kombinieren gleich mehrere Ansätze, um Flaviviren, zu denen unter anderem der Erreger von Gelbfieber zählt, unter optimalen Bedingungen zu produzieren. Zunächst vermehren sie in einem mit Nährlösung gefüllten Bioreaktor tierische Zellen, die den Viren als Wirte dienen.

Die Zellen schwimmen in einer Nährlösung und vermehren sich dort. An den Bioreaktor angeschlossen ist ein Gerät, das einen Teil der Lösung regelmäßig ansaugt und zurückpumpt. Ein Modul, in dem sich Dutzende für das Nährmedium durchlässige Membranschläuche befinden, hält die Zellen zurück, filtert jedoch verbrauchte Nährlösung und Abfallstoffe aus dem Reaktor heraus. Während dieses Perfusionsprozesses ermittelt eine Sonde ständig die Konzentration der Zellen, woran die Versorgung mit frischem Nährmedium angepasst wird. So erreichen die Forscher im Bioreaktor Zellkonzentrationen, die bis zu 75 Mal höher sind als der sonst übliche Standard.

Anschließend infizieren die Forscher die Zellen mit Gelbfieber-Viren. Dabei nutzen sie einen weiteren Kunstgriff, um eine möglichst hohe Viruskonzentration zu erreichen. Die Wissenschaftler verwenden nämlich einen Erreger, den sie vorher angepasst haben, sich besonders gut in den tierischen Zellen zu vermehren.

„Unsere Fortschritte sind sehr vielversprechend“, sagt Yvonne Genzel, die am Magdeburger Max-Planck-Institut ein Team in der Arbeitsgruppe Bioprozesstechnik leitet. „Die neue Perfusionsmethode ermöglicht es, Viren auf kleinem Raum in extrem großer Menge zu erzeugen. Wir haben damit für Zika und Gelbfieber höhere Viruskonzentrationen erreicht, als sie jedes bisherige Verfahren liefern konnte.“ Perfusionsmethoden könnten vor allem dann gut geeignet sein, große Mengen von Viren zu produzieren, wenn die Virenausbeute pro Zelle sehr gering ist.

„Es wäre gut, wenn diese Technik bald auch von Impfstoffherstellern in großem Maßstab eingesetzt würde“, erklärt Udo Reichl, der Direktor am Max-Planck-Institut in Magdeburg ist und die Arbeitsgruppe Bioprozesstechnik leitet. „Die Methode sollte es ermöglichen, die Produktion flexibler an den Bedarf anzupassen und für schwierig zu vermehrende Viren endlich einen effizienten und ökonomischen Herstellungsprozess zu finden.“

Flaviviren werden meist über Stechmücken auf Menschen übertragen und lösen Infektionskrankheiten aus, die, wie das Gelbfieber, tödlich verlaufen können. Eine Infektion lässt sich derzeit nicht heilen, Medikamente lindern nur die Symptome. Impfungen können jedoch vor einigen der Erreger schützen.

Seit 1937 gibt es bereits einen Lebendimpfstoff gegen Gelbfieber, doch seit die ersten Produktionsprozesse etabliert wurden, hat sich die Herstellungsmethode nicht grundlegend verändert. Noch immer vermehren Pharmaunternehmen die Viren in Hühnerembryos. Aus Viren ohne krankmachende Eigenschaften stellen sie dann Lebend­impfstoffe her. Zum einen benötigen sie dafür von Fremdstoffen und anderen Erregern unbelastete Eier, zum anderen dauert die Produktion eines Impfstoffs auf diesem Weg etwa zwölf Monate.

Mit der neuen Methode vermehren sich in einem Bioreaktor mit einem Liter Fassungsvermögen dagegen bereits in zwei Wochen so viele Gelbfieber-Viren wie für zehn Millionen Impfdosen benötigt werden. „Leider können die Viren nicht direkt durch die Membran geerntet werden, da die Membran mit der Zeit verstopft“, sagt Yvonne Genzel. „Deshalb testen wir auch andere Perfusionssysteme ohne Membran.“

Ihr Team untersucht zudem, wie ihre Methoden mit anderen Erregern wie etwa dem Grippevirus, dem japanischen Enzephalitis-Virus und dem Modified-Vaccinia-Ankara-Virus funktionieren.

Letzteres ist ein vielversprechender Kandidat, um in der Gentherapie genetisches Material in die Zellen von Lebewesen einzuschleusen. In der Krebsbehandlung werden extrem hohe Viruskonzentrationen benötigt, damit Ärzte mit Hilfe dieser Methode bisher unheilbare Tumore therapieren können. Wenn sich die Perfusionsmethode in den geplanten Untersuchungen bewähren sollte, könnten Viren also für viele Anwendungen leichter verfügbar werden.