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Gastronomie Stammtisch gegen Kneipensterben in Magdeburg

Ein Männer-Stammtisch setzt Zeichen gegen das Kneipensterben in Magdeburg und besucht jedes Mal ein anderes Lokal der Stadt.

Von Marco Papritz 04.01.2019, 00:01

Magdeburg l Sie sind um die 30 Jahre alt, kennen sich aus der Schule, vom Studium oder aus dem Freundeskreis der Partnerinnen und haben im November 2015 den Vorsatz gefasst, jeden Mittwochabend einer ungeraden Kalenderwoche einen Stammtisch einzuberufen. Und zwar stets in einer anderen Lokalität.

„Die Stadt hat so viel mehr zu bieten als die bekannten Adressen, wo man über die Familie, die Arbeit und das Leben plaudern kann“, sagt Daniel Riecke. Daher touren die insgesamt 16 Männer, die voll im Berufsleben stehen und u. a. als Messtechniker, Unternehmer, Ingenieure, Fachberater in der Vermögensverwaltung, Informatiker, Techniker, Lehrer und Industriemeister tätig sind, im Zwei-Wochen-Rhythmus durch die Stadtteile. Sie kehren dort ein, wo sie kein Reiseführer hinführt oder man nur vorbeigeht.

Der Gruppe geht es nicht vordergründig darum, einen klassischen Herrenabend mit viel Alkohol zu verbringen. Mit ihrem Austausch in geselliger Runde, der immer um 19 Uhr seinen Anfang nimmt, möchten sie die gastronomischen Betriebe unterstützen und ein kleines Zeichen gegen das Kneipensterben setzen, das auch in der Landeshauptstadt festzustellen ist.

„Oftmals sind die Kneipen unter der Woche nur spärlich besucht. Daher haben wir uns entschieden, mit unseren Mittwochstreffen für etwas Umsatz zu sorgen“, klärt Stefan Kirst auf.

Der 80. Stammtisch führt die Herren in die Gaststätte Jahnke, für die ein Jubiläumsjahr begonnen hat. Vor 80 Jahren übernahm der Vater von Günther Jahnke (stand seit den 1970er Jahren hinter dem Tresen) die Eckkneipe in Fermersleben. Der 70-Jährige gab die Leitung nun zum Jahresbeginn an Conny Treue ab. Sie arbeitete seit über 30 Jahren in der Küche bei Jahnke, kennt die Kneipe wie ihre Westentasche und hat in dieser Zeit viel erlebt.

„Früher standen die Gäste in Dreierreihen nach Schichtschluss vor dem Tresen und waren froh, überhaupt noch in die Kneipe zu kommen. Heute klammern sich einige Besucher den ganzen Abend an einem Wasser fest ... da ist das Überleben für uns Gastronomen schwierig“, sagt sie.

Die braune Holzeingangstür zu Jahnkes ist unscheinbar, die nachfolgende Schwenktür quietscht ein wenig, im Gastraum läuft „Here I Go Again“ von White Snake und der urige überdimensionale Tresen des 1902 eröffneten Lokals ist fester Bestandteil des Mobiliars. Es darf geraucht werden. Und hier gehört es zum guten Ton, als Gast zur Begrüßung auf jeden der Tische zu klopfen. „Dann ist das Eis schnell gebrochen. Klar rümpfen Stammgäste schon mal die Nase, wenn wir als Gruppe auftauchen. Es ist erstaunlich, wie schnell man mit den Gästen und den Wirten ins Gespräch kommt und wie sich ein Abend entwickelt“, so Daniel Riecke.

Im Laufe der Zeit kam es bei den Stammtischen zu kuriosen Erlebnissen. Einmal begrüßte ein Wirt die Gruppe in angetrunkenem Zustand und schlief wenig später am Zapfhahn ein. Ein anderes Mal musste einer der Stammtischler mit dem Fahrrad zum Supermarkt radeln, damit die Gruppe in einer Kneipe überhaupt etwas essen konnte. Damit ein jedes Erlebnis nicht in Vergessenheit gerät, wird seit dem 40. Treffen jeder Besuch protokollarisch festgehalten, das Protokoll vom jeweils letzten Treffen zu Beginn des neuen Stammtisches verlesen.

Die Statistik der Gruppe, die insgesamt 75 verschiedene Lokale aufgesucht hat, weist auch etwas anderes aus. „Mittlerweile gibt es auch Kneipen wie das Simpa am Kroatenweg oder Mein Heim am Fermersleber Weg, die inzwischen geschlossen wurden“, so Daniel Riecke.

Dies sei sehr schade, da die Menschen in den Kneipen stets herzlich, das Essen gut und bezahlbar sei, wie es von der Gruppe heißt, ehe „Ja wenn das so ist ... dann Prost“ angestimmt wird. Das Lied hat der Stammtisch beim Besuch der Gaststätte „Zum Igel“ am Dodendorfer Platz von einer Gruppe älterer Damen übernommen, die dort Bridge spielt.

Erstmals wählt die Gruppe den Kneipenbesuch des Jahres. Bei der Wahl für 2018 setzt sich das Jakelwood am Hasselbachplatz durch, womit sich ein Kreis schließt. „Dort haben wir vor vier Jahren unseren ersten Stammtisch eingelegt“, heißt es aus der Runde. Betreiber Thomas Buch hat das bekannte Lokal zum Jahresende aufgegeben.

Offen ist, ob eine andere Bar dort öffnen wird. „Wir hoffen natürlich, dass es dort weitergeht ...“ Auch, weil der Besuch durch die Art von Thomas Buch in Erinnerung bleibt. Als es auf seine Frage nach einer Essenbestellung geheißen habe „Irgendwas mit Leberwurst“, habe der Wirt kurzerhand Orange mit Leberwurst serviert ...