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Gesundheit Erste Engpässe bei sauberen Blutdruckmitteln

Auch in Magdeburg sind Hunderte Patienten vom Rückruf verunreinigter Valsartan-Produkte eines chinesischen Herstellers betroffen.

Von Jana Heute 21.07.2018, 01:01

Magdeburg l In der Ost-Apotheke an der Berliner Chaussee haben sich seit Bekanntwerden des Rückrufs schon etliche Betroffene gemeldet. Einige haben sich deutlich Luft verschafft. „Behalten Sie den Mist!“ oder „Ich bin vergiftet worden!“ Auch solche Sätze hörten die Mitarbeiter in der Apotheke, berichtet Chefin Petra Isenhuth. „Wir Apotheker können gar nichts dafür“, betont sie. Doch der Frust sitzt bei vielen Patienten tief und entlädt sich bisweilen an der falschen Stelle.

Auch Manfred Müller ist wütend. Seit Jahren nimmt er den Blutdrucksenker. Sein Medikament ist vom Rückruf betroffen. „So etwas zu schlucken, ist Körperverletzung. Der Hersteller müsste Schmerzensgeld zahlen. In Amerika würden längst die ersten Prozesse laufen “, meint er am Redaktionstelefon. Müller bemängelt auch, dass zu wenig aufgeklärt werde. „Eigentlich müssten doch Ärzte, Krankenkassen oder die Apotheken ihre Patienten bzw. Kunden anschreiben und aufklären. Das kommt aber alles nur scheibchenweise oder wenn man selbst nachfragt“, ärgert er sich und legt damit wohl auch den Finger in die Wunde.

Von dem aktuellen Tablettenskandal sind Herz- und Blutdruckpatienten europaweit betroffen. Der Rückruf lief seit Anfang Juli zunächst nur apothekenintern, berichten Magdeburger Apotheker. Die Öffentlichkeit und damit die Masse der betroffenen Patienten erfuhr erst eine Woche später davon.

Dazu gab es die Empfehlung, sich zwecks Neuverschreibung eines Ersatzmittels an den Hausarzt zu wenden. Doch dieser Hinweis kam kurz vor dem Wochenende, als kein Hausarzt mehr erreichbar war. In Apotheken liefen die Telefone heiß. Betroffene sprachen dort vor. Und der Beratungsbedarf ist nach wie vor groß, wie Petra Isenhuth von der Ost-Apotheke bestätigt. „Viele Hausärzte haben im Moment ja auch Urlaub“, ergänzt sie. Hinzu kommt: Es gibt erste Lieferengpässe bei den unbelasteten Präparaten. Nur eine Handvoll Anbieter von Generika und der Originalhersteller Novartis kommen als alternative Lieferanten jetzt noch in Frage und werden mit Bestellungen bombardiert.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung räumt auf ihrer Homepage ein, dass es „in vielen Apotheken“ bereits zu „Engpässen“ komme. Das bestätigt auch Petra Isenhuth von der Ost-Apotheke. „Wir haben am Donnerstag gerade mal zehn Päckchen eines alternativen Präparates bekommen. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein“, so Isenhuth. Lieferungen würden rationalisiert, Reserven knapp. Somit erreicht der Skandal auch Patienten, deren verschriebenes Medikament gar nicht vom Rückruf betroffen ist. „Auch wir haben nicht mehr alle Präparate vorrätig. Es kommt immer mal was rein, aber man weiß nicht, wie viel das dann ist“, pflichtet ihr Claudia Meffert von der Pluspunkt-Apotheke im Allee-Center bei. Es zeichne sich ein „Dauerproblem“ ab, da nur noch wenige Hersteller Alternativen liefern könnten. Man sei bemüht, Lösungen für die Patienten zu finden. „Panik ist hier aber nicht angebracht“, findet Claudia Meffert. Das sieht auch Apothekerin Isenhuth so. „Auf keinen Fall das Medikament ohne Rücksprache mit dem Arzt einfach absetzen. Damit riskiert man womöglich einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt. Denn das Medikament hat man ja nicht ohne Grund genommen“, so betont sie.

Branchenintern heißt es, dass es nach dem Start der Rückrufaktion von einigen Apotheken Hamsterkäufe sauberer Medikamente gegeben habe, was die Situation verschärfte. Die Hersteller wollten die Lieferengpässe bis Ende Juli beheben, die Produktion hochfahren. So ist im Moment z. B. das Mittel Valsacor vergriffen, berichtet Apothekerin Isenhuth. Beunruhigt sein müsse aber kein Patient. „Es gibt andere Wirkstoffe aus der Gruppe der Sartane, auf die der Arzt den Patienten umstellen kann“, so Isenhuth.

Und es gibt noch die Originalprodukte, die allerdings deutlich teurer sind. Doch wer übernimmt dafür die Kosten? Beispiel: „Diovan 80“ vom Hersteller Novartis. 98 Tabletten (reichen im Schnitt drei Monate) kosten 92,40 Euro. Die Kasse zahlt einen Festbetrag von 21,13 Euro. Mit der Zuzahlung, die der Patient leisten muss (hier 5 Euro), bleibt eine Differenz von 76,27 Euro, die die Apotheke bei Abholung berechnet. Doch einige Krankenkassen wollen Kulanz zeigen und Kosten übernehmen, wie die Volksstimme bei einer stichprobenartigen Befragung erfuhr. Beispiele:

Barmer: Die Kasse übernimmt Kosten und Zuzahlung für ein Alternativpräparat. Die Mehrkosten für das Originalpräparat von Novartis würden übernommen (nur einmalig), wenn kein rabattbegünstigtes Arzneimittel oder Generikum verfügbar sei. Eine generelle Abgabe des Originalpräparats auf Wunsch des Versicherten sei nicht vorgesehen.

AOK: Die Medikamente des Rabattpartners TAD Pharma sind nicht vom Rückruf betroffen. Bei Lieferproblemen sollte der Arzt konsultiert werden, um eine „aufzahlungsfreie Alternative“ zu finden. Führt kein Weg an Originalpräparaten vorbei, erstattet die AOK Mehrkosten: sowohl die Festbetragsdifferenz als auch die Zuzahlung pro Packung. Patienten müssten keine finanziellen Nachteile befürchten, heißt es.

DAK: Auch hier sei ein großer Teil der Versicherten nicht vom Rückruf betroffen. Falls aufgrund von Lieferengpässen doch nötig, können sich Versicherte Alternativpräparate ohne Zuzahlung verschreiben lassen bzw. wird diese erstattet. Solche Präparate zahlt die Kasse aber nur im Rahmen des Festpreises.

IKK gesund plus: Patienten sollten bei einer Neuverschreibung die Zuzahlung auslegen. Das Geld gibt es von der Kasse zurück. Im Moment sind nach Einschätzung der IKK noch preiswertere Alternativen verfügbar, so dass eine Übernahme der Mehrkosten über den Festpreis hinaus nicht nötig sei. „Sollte es doch Probleme geben, wendet sich der Versicherte bitte an unsere Magdeburger Geschäftsstelle. Wir finden eine Lösung“, so Sprecher Gunnar Mollenhauer.

Eine Liste über die betroffenen valsartanhaltigen Arzneimittel gibt es bei der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) unter https://www.akdae.de/.