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Häusliche Gewalt Selbst der Professor schlägt seine Frau

Warum schlagen Männer immer wieder zu? Am Aktionstag gegen Gewalt gegen Frauen erzählt der Magdeburger Antigewalttrainer Tim Marx.

Von Christina Bendigs 14.02.2019, 00:01

Magdeburg l „Würden alle ein Antigewalttraining absolvieren, die wegen entsprechender Delikte verurteilt werden, würden wir unsere Arbeit nicht schaffen“, sagt Tim Marx. Seit 20 Jahren ist er in Magdeburg als Antigewalttrainer unterwegs. Doch die wenigsten Gewalttäter finden den Weg zu ihm oder werden mit gerichtlichen Auflagen gezwungen, zu ihm zu gehen.

Einmal jährlich startet ein sechsmonatiger Kurs. „Zu den Vorgesprächen kommen meist 30 Personen“, erzählt er. Danach bleiben schon die Ersten weg. Nur sechs bis acht Teilnehmer schließen den Kurs ab, in dem sie Strategien lernen, ihrer eigenen Gewalttätigkeit aus dem Weg zu gehen.

Etwa ein Drittel der Anwesenden ist wegen häuslicher Gewalt auffällig geworden – und zwar über alle Bevölkerungsschichten hinweg, berichtet Tim Marx. Oft sei die Hemmschwelle, Hilfeangebote zu nutzen, aber höher, wenn die Familien sozial besser gestellt seien. Aber Tim Marx ist überzeugt: „Auch der Professor schlägt seine Frau.“

Die Gefahr für eine Frau, in der Öffentlichkeit geschlagen zu werden, sei aber relativ gering: ein gesellschaftlich gewachsenes Tabu. Doch was hinter verschlossenen Türen geschieht, sei etwas anderes.

Die Täter melden sich freiwillig zum Antigewalttraining an, andere kommen durch Zwang, erfüllen gerichtliche Auflagen. Einsichtig sind die meisten zunächst nicht, suchen nach Ausflüchten, „sie finden hundert Rechtfertigungen, warum das jetzt sein musste“, sagt Marx. „Was hätten Sie gemacht, wenn Sie Ihre Frau mit einem anderen im Bett erwischt haben?“, ist eine Frage, die Tim Marx schon mehrfach gehört hat: „Die Männer denken, ihre Reaktion sei das Normalste auf der Welt und dass jeder andere Mann genauso reagieren würde.“

Doch seine Aufgabe ist es, bei den Männern eine Problemeinsicht und einen Leidensdruck zu erzeugen. Erst dann beginnen sie, an sich zu arbeiten. Die Einsicht, dass sie an sich selbst arbeiten müssen, ist der erste Schritt, damit sich etwas ändert. Mit Kommunikationstraining, Rollenspielen vor der Kamera, Gesprächen, aber auch vorgenommenen Provokationen, Austausch mit Gästen, die Marx zu seinen Schulungen einlädt, werden sie nach und nach geschult.

Unter anderem wird auch ein Rechtsmediziner eingeladen, der in einer Sitzung die Folgen von Gewalt schildert. So lernen sie, dass eine Beleidigung und körperliche Gewalt nicht miteinander aufgewogen werden können.

Sechs Monate dauert das kostenfreie Anti-Gewalt-Training. Die Rückfallquote derer, die den Kurs abschließen, liege bei 20  Prozent, „und das ist richtig gut“, sagt Marx. Aber selbst jene, die rückfällig werden, könnten als Erfolg gesehen werden, da die Intensität ihrer Gewalt dann zumeist abnehme.

Er würde sich wünschen, dass mehr Straftäter die Auflage bekämen, ein Anti-Gewalt-Training zu absolvieren. Den braven Schwiegersohn werde er nicht aus den Männern machen können und verbale Ausbrüche könne es auch danach noch geben. In den Kursen sitzen übrigens nicht nur Männer. Durchschnittlich sitzen in jedem Kurs auch zwei Frauen.

Interessenten können sich jederzeit an den Sozialen Dienst der Justiz wenden. In Magdeburg ist dieser unter der Rufnummer 0391/5674905 zu erreichen. Infos: www.sd-md.sachsen-anhalt.de