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Handel Stirbt die Magdeburger Innenstadt?

Warum es keinen Zara oder Starbucks in Magdeburg gibt und wieso der neue Poco am Uni-Platz besser aufgehoben wäre.

Von Nico Esche 25.08.2020, 23:01

Magdeburg l Die Volksstimme traf sich mit Rolf Lay, Vizepräsident und Handelsausschussvorsitzender der Industrie- und Handelskammer Magdeburg sowie Vorstand der IG Innenstadt. Über ein mögliches Handel-Sterben in Magdeburg, Vor- und Nachteile von großen Handelsketten für Magdeburg, die Kontroverse zum Bau des Poco in Stadtfeld und warum es Existenzgründer in Magdeburg so schwer haben.

Volksstimme: Herr Lay, wie geht es dem Handel in Magdeburg?

Rolf Lay: Zurzeit gestaltet es sich schwierig, da erzähle ich Ihnen sicherlich nichts Neues. Corona hat den Handel, und nicht nur den, fest in seiner Hand. Händler und insbesondere jene, die mit Mode handeln, haben große Probleme. Das liegt daran, dass die Waren für den Sommer bereits produziert, von den Händlern gekauft und in die Verkaufsräume gestellt wurden. Dann kam der Lockdown, die Ware konnte den Laden nicht verlassen und am Ende war sie kaum mehr wert. Gleichzeitig läuft jetzt die Winterware an, die logischerweise bezahlt werden muss. So entsteht ein finanzieller Engpass für die Mode-Händler. Das sind Sorgen, die uns bei der IHK umtreiben.

Wie gut oder schlecht hat der Magdeburger Handel Corona bis jetzt überstanden?

Die ersten Leerstände haben wir bereits. Ob die mit Corona zusammenhängen, kann man schwer nachvollziehen. Die ersten Anzeichen der Händler gibt es bereits, die aufgeben wollen. Und wenn das Schule macht, und den Händlern nicht geholfen werden kann und Geschäfte schließen müssen, sinkt zwangsläufig die Attraktivität der Stadt massiv.

Eine zweite Welle wäre nicht nur für den Handel eine Katastrophe.

Das wäre definitiv eine mittlere Katastrophe. Hinzu kommt das Phänomen, dass vermehrt Händler auf der “Grünen Wiese” ansiedeln, also weit außerhalb der Innenstadt. Immerhin 80 Prozent der Verkaufsfläche, die Magdeburg besitzt, befinden sich auf der Grünen Wiese. Wenn Wettbewerb im Handel entstehen soll, dann bitte erst in der Innenstadt. Sie müssen sich eine Innenstadt wie ein Einkaufszentrum vorstellen: An jedem Ende gibt es ein großes, wichtiges Geschäft, zwischen denen die Kunden flanieren. Das ist in Magdeburg nicht der Fall.

Sie sprechen vom sogenannten Hundeknochen-Modell?

Bildlich gesprochen, sind die zwei dicken Enden die wichtigen Geschäfte, dazwischen liegen die kleineren. Der Breite Weg ist der Knochen, die Enden der Hasselbachplatz und der Uni-Platz. An diesen Orten wünschen wir uns, dass noch ein starker Wettbewerber hinziehen könnte. Gerade am Universitätsring hätte man sich IKEA gut vorstellen können. Das wäre sicherlich ein Magnet gewesen, der den Kundenfluss in der Innenstadt stark beeinflusst hätte.

Wird die Stadt durch die Mitbewerber außerhalb der Innenstadt zersiedelt?

Künftig soll an der Hermann-Gieseler-Halle gebaut werden. Auf dem Stadfelder Schlachthof-Gelände sollen viele Händler einziehen. Alle außerhalb des Zentrums. Für die Innenstadt ist das tödlich.

Unabhängig von Corona, und rein vom Gefühl her, haben es Gründer in Magdeburg schwer. Wie sehen da die Prognosen aus? Gibt es Lösungsvorschläge?

Die IHK ist selbstverständlich eine Anlaufstelle, vor allem für Beratungen zum Thema Gründung. Zurzeit haben die Menschen allerdings generell wenig Mut eine Existenz zu gründen.

Das war aber schon vor Corona der Fall.

Das war schon vor Corona so, aber aktuell fällt es Gründern noch schwerer die Hürde zu nehmen.

Woran kann es liegen, dass in Magdeburg wenig Händler gründen wollen?

Weil die Entwicklung der Stadt, was die Zuwachsraten und die Attraktivität angeht, noch etwas hinterherhinkt. Ich denke, dass sich das in Zukunft ändern wird. Vieles wurde und wird in der Innenstadt vorangetrieben. Aber das kostet nun einmal Geld. Rückblickend wurde bereits in den vergangenen Jahren viel für die Aufenthaltsqualität gemacht.

Woran machen Sie das fest?

Wir haben gute Kontakte zum Wirtschaftsdezernat und tauschen uns viel aus. Es gibt noch viel zu tun in der Magdeburger Innenstadt. Vor allem was die Aufenthaltsqualität, Möblierung und Digitalisierung betrifft. Das steigert zwangsläufig auch die Attraktivität, Händler werden so eher motiviert zu gründen. Speziell was das Internet für die Geschäfte bedeutet, die bereits heute darauf angewiesen sind. Geschwindigkeit spielt dabei eine große Rolle. Hier gibt es noch riesige Defizite. Dabei sehen wir auch das Land in der Verantwortung.

Es gibt eine große Fluktuation der Händler in der City, immer wieder Leerstand, auch auf der Einkaufspromenade des Breiten Wegs. Das kennt man so aus anderen, vergleichbaren Städten weniger.

Dass es in anderen Städten weniger Fluktuation und Leerstände gibt als in Magdeburg, akzeptiere ich so wie Sie es sagen nicht. Ich weiß aus Braunschweig zum Beispiel, dass es in der eigentlichen Kernzone der Innenstadt einiges an Leerstand gibt. Das liegt unter anderem auch an den Schloss-Arkaden (zentrumsnahes, großes Einkaufszentrum in Braunschweig, Anm. d. Red.). Leerstände werden dort mit eher unattraktiven Geschäften gefüllt, wie Wett-Buden und ähnlichem. Das wollen wir hier verhindern.

Schöpfen die großen Einkaufszentren den kleinen Geschäften das Wasser ab?

Jein. Wir sind in Magdeburg Center-geprägt. Ohne die großen Einkaufszentren in der Innenstadt, hätten wir hier eine komplett andere Situation. Inzwischen hat es sich hier so eingelebt, dass jeder sein Publikum gefunden hat. Sie werden feststellen, dass sich im Allee-Center oder im City Carré ein teilweise jüngeres Publikum aufhält, als im Karstadt oder der City. Wir haben immer weniger inhabergeführte Geschäfte. Das ist etwas, was mir große Sorge bereitet. In Magdeburg findet man ein Sammelsurium von großen Ketten, sodass man fast nicht mehr weiß, in welcher Stadt man sich eigentlich gerade befindet …

Stichwort Gentrifizierung.

Richtig. Wir müssen dafür sorgen, dass inhabergeführte Geschäfte gestärkt werden und wollen den potenziellen Kunden auch immer wieder sagen: “Bleib in deiner Stadt und kaufe in deiner Stadt”. Hinzu kommt der Online-Handel. Corona hat diesen stark beflügelt, die Kunden wollen zu Pandemie-Zeiten ungern in die Geschäfte gehen, lassen sich die Waren nach Hause liefern. Auch ein Klientel, das sonst mit Internet nicht viel am Hut hat. Aber das ist nicht das Ende des stationären Einzelhandels. Immer noch wird großen Wert auf die Haptik und die Beratung gelegt. Besonders im Mode-Bereich, wo ich ein Teil vorher erst anprobieren möchte, bevor ich es mir kaufe. Das ist online nicht möglich.

Und trotzdem bestellen viele im Internet Kleidung. Auch, weil die Auswahl in Magdeburg begrenzt ist.

Es fehlen viele markante Händler in Magdeburg, wie die Modekette Zara. Oder auch in der Gastronomie, wie ein Starbucks zum Beispiel. Die bekommen wir aber nur in die Stadt, wenn die Attraktivität der Innenstadt steigt. Sicherlich könnten das zusätzliche Mitbewerber werden. Aber die Magdeburger Händler können nicht nur von den Kunden leben, die hier leben. Sie sind auch auf die Menschen aus dem Umland angewiesen. Von Helmstedt bis hinter Burg. Erst wenn diese Menschen in die Stadt kommen, haben sie einen wichtigen, zusätzlichen Umsatz. Der stationäre Handel muss sich den Gegebenheiten anpassen, um zu überleben.

Wer Einzelhandel in Deutschland sagt, denkt zwangsläufig an den Begriff “Service-Wüste”. Woran liegt das?

Das kann man leider so unterschreiben. Wir haben zu wenig Verkäuferinnen und Verkäufer, die gerne der Tätigkeit des Einzelhändlers nachkommen, Spaß daran haben. Es ist nicht einfach, einen guten Verkäufer zu finden, der mit Leidenschaft arbeitet. Ich kenne Verkäufer, die ein enormes Fachwissen haben, es ihnen aber nicht gelingt dieses an den Kunden weiterzugeben. Wenn der Kunde sich über einen schlechten Verkäufer ärgert, geht er einfach weg und wird nie wieder dort einkaufen.

Blicken wir in Richtung Stadtfeld. Dort soll in naher Zukunft eine Poco-Filiale eröffnet werden. Die IG Innenstadt verfasste einen Brandbrief, um dies zu verhindern. Herr Lay, Sie gehören zum IG Innenstadt-Präsidium. Was können Sie dazu sagen?

Hier sind vor allem einige Punkte noch nicht sauber geklärt. Das, was der Stadtrat dort beschlossen hat, und dem, was dort passieren soll. Die IG Innenstadt ist absolut gegen eine Vergrößerung der Handelsflächen in diesem Gebiet. Und ich rede nicht von Nahversorgung. Es geht um innenstadtrelevante Sortimente, die dort angeboten werden könnten. Das wäre eine zusätzliche Schwächung des innerstädtischen Handels. Das täte der City überhaupt nicht gut, zumal die Stadt immer noch nicht gesund ist. Und ohne eine funktionierende City, werden sie auch kaum Touristen in die Stadt bekommen. Dafür benötigt man Gastronomie und Handel im Zentrum. Und genau das wird immer wieder von Händlern untergraben, die in den Randgebieten Geschäfte eröffnen.

Was würde es für die Innenstadt bedeuten, wenn Poco im Stadtfeld die neue Filiale eröffnet?

Das Zentrum wird weitere Kunden-Frequenzen verlieren. Da kommen wir auch zum Thema Mitarbeiter. Personalkosten werden in der Regel vom Umsatz berechnet. Weniger Umsatz bedeutet, dass die Händler weniger Geld für ihr Personal haben. Wir brauchen die Menschen in der City, nicht im Umland.

In Neustadt hat Poco seit einigen Jahren eine etablierte Filiale. Diese wird akzeptiert. Warum nun der Aufschrei, dass im Stadtfeld eine weitere Filiale eröffnen soll?

Eine Vergrößerung der Verkaufsfläche bedeutet auch immer das Abziehen von Umsatz und Kaufkraft. Poco öffnet ja keinen neuen, größeren Laden und spekuliert auf gleichen Umsatz. Das wäre nicht wirtschaftlich. Und diese Kaufkraft aus der Innenstadt abzuziehen, kann sich die City nicht leisten. 

Aber gleichzeitig wäre es, wie Sie vorher meinten, für die City von Vorteil einen IKEA auf den Uni-Platz zu setzen?

Ja, weil wir zusätzliche Magneten brauchen, die die Innenstadt weiter stärken und das Publikum anziehen. Zum einen, um ein Sortimentsmangel abzufedern und zum anderen, um Menschen aus dem Umland nach Magdeburg zu holen. IKEA ist ein Kundenmagnet, der ein eigenes Publikum und ein besonderes und einzigartiges Sortiment mit sich bringt.

Das Sortiment von Poco und IKEA ist relativ ähnlich. Spitz gefragt: Wenn der Poco am Uni-Platz, statt in Stadtfeld eröffnet würde, wäre es kein Problem?

Da bleibe ich bei meiner Aussage: Besser als dort, wo er nun hingestellt werden soll. Käme er zum Uni-Platz, hätten wir etwas, dass die Leute anziehen könnte. Denn so könnten die flanierenden Kunden einen Poco am Uni-Platz fußläufig erreichen und schlendern gleichzeitig an den kleineren Geschäften vorbei. Hier kann der Händler diese gewonnene Kunden-Frequenz für sich nutzen. Der Hundeknochen, von dem wir vorher sprachen.

Ich danke für das Gespräch.