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Hundegesetz Einmal gebissen - immer gefährlich?

Die Magdeburgerin Rosemarie Grützmacher wehrt sich gegen die Stigmatisierung ihres Hundes als gefährlich.

Von Michaela Schröder 30.01.2017, 00:01

Magdeburg l Seit März 2016 gilt in Sachsen-Anhalt ein neues Hundegesetz. Es bringt für Kommunen mehr Freiheit beim Umgang mit Beißvorfällen. Nun müssen die Behörden in den Kommunen die Gefährlichkeit eines Hundes nur noch dann reglementieren, wenn sich die Hunde als bissig erwiesen und mehr als nur geringfügige Verletzungen verursacht haben, ohne selbst angegriffen worden zu sein.

„Doch nach meinen Erfahrungen ist das neue Hundegesetz nur rein theoretisch auf dem Papier“, findet die Magdeburgerin Rosemarie Grützmacher. Ihr siebenjähriger Dackelmix „Karli“ hat einen fünf Monate alten Cairn-Terrier-Welpen gebissen - „und das ganze Prozedere mit Wesenstest und Gefährlichkeitsfeststellung nahm seinen Lauf“.

„Mein Hund ist bisher in keiner Form auffällig in Erscheinung getreten“, erzählt die 66-Jährige. Der Beißvorfall ereignete sich im Mai 2016 bei einem Ausflug in der Nähe von Berlin. „Karli lief auf den anderen Hund zu. Beide beschnupperten sich, bevor der Welpe meinen Hund, wahrscheinlich aus dem Spieltrieb heraus, angesprungen hat. Karli missfiel das. Für ein Eingreifen war es zu spät. Mein Hund biss zu“, erinnert sich Rosemarie Grützmacher. Aufgrund des neuen Hundegesetzes hoffte die Magdeburgerin, dass ihr Dackelmix nach dem Beißvorfall mit einem blauen Auge davonkommt.

Doch das Magdeburger Ordnungsamt geht davon aus, unter Berücksichtigung der Einschätzung des behandelnden Tierarztes, dass der Hund gefährlich sei. Der Beißvorfall hätte sich als nicht geringfügig erwiesen, so Rosemarie Grützmacher.

Im Befundbericht des Tierarztes aus Falkensee, der der Volksstimme vorliegt, heißt es u. a., dass sich auf dem Nasenrücken eine im Durchmesser kleinere Bissverletzung zeigte, in der Wundumgebung ein ca. 3 Zentimeter großes Unterhautemphysem. Eine Fraktur des Nasenbeins konnte der Tierarzt ausschließen.

Zur Nachbehandlung zwei Tage später befand sich der verletzte Hund in einem guten Allgemeinzustand. Bis zum heutigen Zeitpunkt sind laut Befundbericht des Tierarztes vom August 2016 bei dem Hund keine bleibenden gesundheitlichen Einschränkungen infolge dieser Bissverletzung aufgetreten. „Dennoch ist mein Hund Karli jetzt lebenslänglich als gefährlich gebrandmarkt“, kritisiert Rosemarie Grützmacher. Sie kann die Entscheidung des Ordnungsamtes nicht verstehen. Sie verwahrt sich dagegen, dass ihr Hund gefährlich sei.

Der im September 2016 durchgeführte Wesenstest in der Kleintierpraxis Ulrich Wagner in Schönebeck bescheinigte Karli ein sozialverträgliches Verhalten. Eine Anlein- oder Maulkorbpflicht besteht nicht. Im Gutachten heißt es, „der Hund Karli besitzt auf Grundlage der Befunderhebung zum momentanen Zeitpunkt kein gesteigertes Aggressionsverhalten und keine gestörte aggressive Kommunikation, sowohl für Mensch- Hund- als auch für Hund-Hund-Situationen“.

Rosemarie Grützmacher hat mittlerweile einen Rechtsanwalt eingeschaltet. Der Berliner Jurist Thomas Köhler-Barthel kennt den Hund persönlich. Rosemarie Grützmacher war längere Zeit für den Anwalt beruflich tätig. „Der Hund war stets anwesend. Bei dem Publikumsverkehr war der Hund nie auffällig, sondern fiel insbesondere durch sein freundliches Verhalten Dritten gegenüber auf“, so Köhler-Barthel.

Auf Nachfrage der Volksstimme heißt es seitens der Stadt, dass ein Hund auch weiterhin für gefährlich zu erklären sei, wenn sich ein Beißvorfall als nicht nur geringfügig erweise. „Auch in der geänderten Fassung enthält das Hundegesetz Sachsen-Anhalts keine Befreiung von der Vorlage eines Wesenstests bei Erstverstößen“, erklärt Stadtsprecherin Kerstin Kinszorra.

Das Gesetz räume lediglich Ausnahmen ein, wenn die Verletzung nur geringfügig war bzw. der beißende Hund selbst zuvor angegriffen wurde. „Ohne hier Einzelfälle detailliert diskutieren zu wollen, erfolgte im vorliegenden Fall eine Gefährlichkeitsfeststellung“, so Kerstin Kinszorra. Dies habe stets zur Folge, dass der Hundehalter zur weiteren Führung des Hundes eine Erlaubnis benötige. Im Rahmen des Erlaubnisverfahrens sind u. a. ein bestandener Wesenstest und ein Sachkundenachweis zu erbringen. „Dies ist Voraussetzung zur Erlaubniserteilung, ändert aber nichts mehr an der Gefährlichkeitsfeststellung“, erklärt Kerstin Kinszorra.

Rosemarie Grützmacher hat unterdessen den Eindruck, dass die Entscheidung trotz des neuen Hundegesetzes Ermessenssache des jeweiligen Sachbearbeiters des Ordnungsamtes sei. „Vom Schreibtisch aus wird mein Hund mit einem Standardbrief verurteilt“, kritisiert die 66-Jährige. Um die Fristen für den Wesenstest einhalten zu können, musste Rosemarie Grützmacher einen Privatkredit aufnehmen. „Für mich sind Kosten von 800 Euro angefallen, was für eine alleinstehende Rentnerin eine erhebliche Belastung darstellt“, so die Magdeburgerin, „auch ich durfte mich beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt ebenfalls einer Prüfung unterziehen, dass ich in der Lage bin, einen gefährlichen Hund zu führen.“

Dadurch, dass Karli nun als gefährlich gilt, hat die 66-Jährige ein weiteres Problem. „Nur ich darf den Hund halten und führen. Was passiert, wenn ich ins Krankenhaus muss?“, fragt sich die Seniorin. Karli ist nicht ihr erster Hund. Der Rüde stammt aus der Welpennothilfe. Von der Pflegestelle wurde attestiert, dass der Rüde mit anderen Hunden und Kindern verträglich sei.

Rosemarie Grützmachers eingelegter Widerspruch bei der Stadt wurde an das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt abgegeben. Eine Antwort ist offen. Sollte der Widerspruch abgelehnt werden, will die 66-Jährige den Klageweg beschreiten.