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Immobilien Kritik an neuer Wohnsiedlung in Magdeburg

Die Pläne, am Eingang zum Stadtpark Magdeburg ein reines Wohnviertel zu errichten, haben einen prominenten Gegner - Bruno Krayl.

Von Katja Tessnow 06.03.2018, 00:01

Magdeburg l „Wer ein solches Grundstück besitzt, hat auch gesamtstädtische Pflichten zu erfüllen“, sagt Bruno Krayl. Dass ausgerechnet er kein gutes Haar an dem lässt, was sich die Magdeburger Wohnungsbaugenossenschaft MWG und die Wohnungsbaugesellschaft Wobau für den Standort in Magdeburg ausgedacht haben, ist eine derbe Klatsche.

Die potenziellen Bauherren wollen mit ihrem Projekt an die Ära des „Neuen Bauens“ im Magdeburg der 1920er Jahre erinnern. Bruno Taut, Johannes Göderitz und Carl Krayl hießen seine Wegbereiter und machten die Stadt Magdeburg mit ihren architektonisch ambitionierten und zu sozialen Mieten bewohnbaren Siedlungsbauten weltbekannt.

Bruno Krayl ist Sohn von Carl Krayl und bis heute ein wacher Beobachter und Begleiter der Stadtentwicklung. Was das „Neue Bauen“ in Magdeburg betrifft, seine Intentionen, seine bis heute nützlichen Produkte und den Umgang mit ihnen, ist Krayl eine Instanz. Jetzt hat er sich mit einem Brief an den Bauausschuss gewandt und auch an die Volksstimme.

„Innerlich aufgewühlt“ sei er gewesen, als er aus der Zeitung von den Plänen erfuhr, so Krayl. „Ein Bauhausbogen am Elbufer“ titelte die Volksstimme am 3. Februar 2018. Krayl nennt es „allgemeinen Wohnungsbaubrei“. Er ärgert sich fürchterlich, dass dieser auch noch als Anlehnung ans „Neue Bauen“ verkauft werde und ruft aus: „Solch eine architekturhistorische Verdrehung darf ja wohl nicht bauliche Wirklichkeit werden!“

Zwar sei es „mutig und aller Ehren wert“, den bedeutungsvollen Standort bebauen zu wollen. Sich dabei der Tradition von Taut, Göderitz und Krayl zu verschreiben sei „nicht nur richtig, sondern eigentlich sogar eine dringend unterstützenswerte Verpflichtung“. Was aber Taut und Krayl zu ihrer Zeit dort vorschwebte, sei eine „Stadtkronen-Urbanität“ in vollendeter Form gewesen und nicht Siedlungsbau für einige wenige.

Krayl verweist auf den Anspruch seines Vaters und der anderen Väter des „Neuen Bauens“, die es vermochten, „über den gesamten Zeitraum ihres baulichen Wirkens Wohnraum für die Magdeburger Bürger zu gleichbleibend bezahlbaren Mieten in einem guten Wohnumfeld“ zu schaffen. Wer vorgebe, in den Traditionen der Moderne der 20er Jahre Städtebau zu realisieren, der müsse sich an diese Ganzheit halten und nicht nur eine bauliche Hülle schaffen, die so ähnlich aussieht.

Die Architektur-Sprache von vor einhundert Jahren könne wirkungsvoll in die heutige übersetzt werden, aber dazu müssten die städtebaulichen Konzepte von damals studiert und ernst genommen werden.

Krayl wünscht sich am Standort ein urbanes Viertel mit Schallschutzriegel zum Messeplatz (Büronutzung; Lärmschutz für Wohnungen funktioniere zur Messe hin nicht), einer markanten Uferbereichsbebauung, Café oder Gastronomie im 7. Geschoss an hervorragender Stelle – und bezahlbaren Wohnraum. Die Büromieten könnten den wirtschaftlichen Ausgleich für Kaltmieten um die 5 Euro pro Quadratmeter liefern.

Allerdings frage er sich, so Krayl, ob heutige Wohnungsgenossenschaften diesen Ansprüchen gerecht werden könnten. „Das sind doch inzwischen auf Gewinnmaximierung orientierte Unternehmen fernab jeder Verpflichtung zu sozialem Wohnungsbau.“

Mit seinem Zwischenruf stößt Krayl mitten hinein in eine vielstimmige und mit dem Satzungsbeschluss zur Aufstellung des Bebauungsplanes nicht abgeschlossene Debatte im Stadtrat Magdeburg und in der breiteren Öffentlichkeit.

In der Ratsdebatte am 22. Februar 2018 lagen die Grünen am dichtesten bei Krayl. Sie forderten auch zum Schutz des benachbarten Messeplatzes die Umwandlung der Ausweisung als allgemeines Wohngebiet in ein urbanes Gebiet (etwas geringere Lärmschutzauflagen) mit kleinem Gewerbe (z. B. Gastronomie), sozialen und kulturellen Einrichtungen und einem Wohnungsangebot, das für soziale Mischung sorgt.

20 Prozent der Wohnungen, so die Grünen, sollten nicht mehr als 6 Euro pro Quadratmeter kosten. Eine Ratsmehrheit lehnte beide Forderungen ab. Ein Kompromissantrag der SPD fand Zustimmung. Demnach soll auf jeden Fall kein reines Luxuswohnviertel entstehen. Die Linke forderte eine Bürgerbefragung – abgelehnt.

Gegenüber der Wobau hat die Stadt Magdeburg ein Druckmittel in der Hand, um Zugeständnisse – z. B. bei Mietpreisen – einzufordern. Der Gesellschaft soll der im kommunalen Besitz befindliche Teil der Baugrundstücke (22.794 Quadratmeter) unentgeltlich übertragen werden. Das entsprechende, nicht öffentliche Beschlusspapier liegt der Volksstimme vor.

Die SPD baute per Änderungsantrag eine Übergabe-Bremse ein und knüpfte die Abwicklung an die Erfüllung von Bedingungen. Mindestens 20 Prozent der Wohnungen sollen zu sozial verträglichen Mieten vergeben werden. Die Kalkulation dafür muss über den Ratstisch, bevor das Geschenk überreicht wird.

Baurecht herrscht fürs neue Viertel noch längst nicht. Davor steht unter anderem die Anhörung von Anrainern und Bürgern zum Projekt. Bruno Krayl wünscht sich von Herzen eine lebhafte Debatte.