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Jahresbericht Kritik an Lebensbedingungen für Behinderte

Der Magdeburger Behindertenbeauftragte attestiert Sachsen-Anhalt die schwierigsten Lebensbedingungen für Menschen mit Behinderungen.

Von Katja Tessnow 22.08.2017, 09:59

Magdeburg l Massive Kritik an den Lebensbedingungen für Behinderte in Sachsen-Anhalt hat der Magdeburger Behindertenbeauftragte Hans-Peter Pischner in seinem traditionellen Jahresbericht zur jüngsten Ratssitzung geübt. Pischner – im Alltag kein Lautsprecher, sondern vielmehr ein Mann der leisen, aber nachdrücklichen Worte im Streit um Chancengleichheit – attestierte dem eigenen Bundesland die „schwierigsten Bedingungen in ganz Deutschland für ein Leben mit Behinderung“ und eine besonders starke Benachteiligung.

Zur Begründung führte Pischner gleich vier Fakten an.

1. In Sachsen-Anhalt sind Behinderte überproportional stark in Heimen untergebracht und in Behindertenwerkstätten statt in der freien Wirtschaft tätig. Mit einer Beschäftigungsquote unter Schwerbeschädigten von nur 3,6 Prozent markiere Sachsen-Anhalt das Schlusslicht im Ländervergleich.

2. Im Gegensatz zu vielen anderen Bundesländern halte Sachsen-Anhalt keine speziellen Fördertöpfe für den barrierefreien Ausbau von Wohnungen bereit, „im Gegensatz zu Sachsen, Thüringen oder Berlin“, so Pischner. Der Umstand sei besonders misslich, weil im Land und im Speziellen in Magdeburg akuter Mangel an behindertengerechtem Wohnraum herrsche – mindestens an solchem, der für Behinderte (oft auf Grundsicherung angewiesen) auch bezahlbar sei.

3. Die gesundheitliche, vor allem die psychologische Versorgung sei schlecht.

4. Und schließlich sei es in Sachsen-Anhalt besonders schwer, überhaupt eine Anerkennung als Schwerbeschädigter offiziell zu erlangen.

Letzteres macht Pischner am Anteil schwerbeschädigter Einwohner an der Gesamtbevölkerung fest. Bundesweit sind 9,3 Prozent der Bevölkerung als schwerbeschädigt anerkannt; in Sachsen-Anhalt sind es nur 8,6 Prozent, in Magdeburg sogar nur 7,6. Den Grund dafür erkennt Pischner beileibe nicht darin, dass die Sachsen-Anhalter im Schnitt gesünder als die Menschen im Rest Deutschlands seien, im Gegenteil spreche die demografische Situation sogar dagegen. Tatsächlich werde, so Pischner, hierzulande restriktiver als anderenorts mit der Anerkennung von Schwerbeschädigtengraden umgegangen.

Zur Lage in Magdeburg findet Pischner zumindest einige lobende Worte. Der Grad an Barrierefreiheit in Kitas und Schulen wächst mit jedem Neubau. Die Versorgung behinderter Kinder mit Kita- und Hortplätzen sei gut. Aktuell werden laut Pischner etwa 250 Kita- und 125 Hortkinder inklusiv betreut; darüber hinaus genießen 500 Kinder eine spezielle Frühförderung.

Die Lage in den Schulen gestaltet sich so: Von 1567 Schülern mit besonderem Förderbedarf besuchen 1029 eine Förderschule. 538 werden in „normalen“ Schulen unterrichtet. Allerdings – das ist nicht neu – fehle es allgemein an Lehrern und erst recht an Sonderpädagogen in den Einrichtungen.

Pischner attestiert eine ungenügende Förderung behinderter Schüler an Regelschulen. Er frage sich inzwischen selbst, ob er Eltern noch raten könne, ihr behindertes Kind inklusiv beschulen zu lassen. Zumal ein hoher Migrantenanteil an manchen Schulen die Inklusion mit Blick auf die Personalausstattung komplett ad absurdum führe.

Den Katalog der Probleme, mit denen sich Betroffene an den Behindertenbeauftragten wenden, beschreibt Pischner in sechs Punkten: Anerkennung als Schwerbeschädigter, Wohnraumversorgung, Behindertenstellplätze/Parkgenehmigungen, Arbeitsuche, Hilfsmittelversorgung und Elternassistenz. Auf Letztere sind vor allem geistig-behinderte Menschen angewiesen, die selbst Eltern werden. Pischner: „Ich appelliere an das Sozialdezernat, diese Aufgabe mit Fingerspitzengefühl anzugehen.“