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Jubiläum Woodstock war eine ganz große Nullnummer

Über das Woodstock-Festival sprach Christina Bendigs mit dem Magdeburger Musikjournalisten Jan Kubon. Er hat sich mit dem Festival befasst.

14.08.2019, 23:01

Volksstimme: Wie hat Sie das Woodstock-Festival beeindruckt?
Jan Kubon: Mich hat das Festival eher als soziologisches Phänomen beeindruckt. Musikalisch halte ich Woodstock für eine ganz große Nullnummer.

Und warum?
Es hat als Eventmaschinerie die Musikwelt zwar geprägt, aber große musikalische Performances gab es nicht.

Wie ist das Festival zustande gekommen?
Dieser Michael Lang, der immer als Festivalgründer bezeichnet wird, wollte ursprünglich ein Tonstudio bauen und zwar in Woodstock, weil sich dort mehrere Künstler niedergelassen hatten – unter anderem Bob Dylan und die Band The Band. Das war damals eine der großen Investitionsideen, die junge Menschen hatten. Das boomte alles und da wollten die mitmachen. Die Investoren haben aber vorgeschlagen, lieber ein Festival machen zu wollen.

Daraus resultierte die Idee, eine Art Kunstmesse zu machen. Es wurden kunstgewerbliche Sachen angeboten, exotisches Essen, eigentlich alles das, was man heute von den großen Festivals kennt, um die Leute abseits von den Bühnen zu unterhalten. Da waren die schon ziemlich visionär. In Woodstock sind sie aber auf Gegenwehr gestoßen, unter anderem von Bob Dylan, und schließlich in Bethel gelandet, wo das Festival stattgefunden hat. Das Studio wurde übrigens nie gebaut.

Und wie kam es, dass die Organisatoren so erfolgreich waren?
Die haben offensichtlich ein sehr gutes Gespür für den Zeitgeist gehabt. Zum Zweiten hatten sie ein sehr gutes Gespür für die Bands, die sie verpflichten wollten, und sie haben tatsächlich die Macht der Mundpropaganda unterschätzt. Zum Schluss hatten sie nicht mehr den Überblick, wie viele Karten sie überhaupt verkauft haben, oder vielleicht doch – das ist auch einer jener großen Mythen. In der Woche vorher waren die Manson-Morde, es war die Zeit des Vietnamkrieges, der Mondlandung, als auch ein großes Umweltbewusstsein geschärft wurde. Es war die Zeit im Aufbruch und da wollte diese durchaus im Sterben liegende Hippiebewegung noch einmal ein Zeichen setzen für Frieden und Miteinander. Ich glaube, viele sind gar nicht wegen der Musik hingefahren.

Die Hippiebewegung ist nach dem Woodstock-Festival auch abgeflacht.

Das große Ende war das Altamont-Speedway-Konzert, im Dezember 1969 in Kalifornien, das die Rolling Stones initiiert hatten. Und da kam es ja dann zum Mord an der Afroamerikanerin Meredith Curly Hunter durch die Hells Angels. Und da war die Unschuldsbewegung der Hippies komplett im Eimer. Die Zeit des friedlichen Protests war vorbei. Man merkte, man kam damit nicht weiter, und es war nicht mehr die Zeit für das friedliche Miteinander, für das Wir-diskutieren-das-mal-alles-aus. Die Jugend wollte sich radikalisieren und wollte sich ändern.

Hatte es auch damit zu tun, dass die Bewegung Mainstream wurde?
Das war es auf alle Fälle auch. Der Ausverkauf der Ikonographie, des Peace-Zeichens, die Mode greift immer Jugendbewegungen auf. Diese weiche, softe Revolution war verkauft und verraten.

Wird Woodstock auch verklärt?
Die Grundidee war natürlich die des Pazifistischen, der sanften Veränderung und des Experimentierens mit Drogen – also Bewusstseinerweiterung als Triebfeder für gesellschaftliche Entwicklung. Und es war schon bunt, aber es wurde von der Industrie auch alles dafür getan, dass es so war. Man hatte ein Feld erkannt, mit dem man Milliarden umsetzen kann.

Damals schon oder erst im Nachhinein?
Auch damals schon. Woodstock war immer als multimediales Ereignis geplant. Es gab Kamerateams vor Ort, es war von vornherein geplant einen Film zu machen, eine Platte zu machen. Das Woodstock-Festival war das erste, das ganzheitlich verwertet wurde. Ich denke, dass deshalb die Macher von Woodstock gar nicht so traurig waren, dass so viel schiefgelaufen war, weil das die Mythenbildung verstärkte. Im vermeintlichen Scheitern lag auch der Gewinn. Die Leute haben trotz der schwierigen Bedingungen friedlich abgehangen. Das wurde auch im Nachhinein extrem ausgeschlachtet und verklärt.

Und gab es Musiker, die sich im Nachhinein geärgert haben, eine Chance verpasst zu haben?
Die Liste von Musikern, die nicht aufgetreten sind, ist ja mindestens genauso lang wie die Liste von Musikern, die gespielt haben. Eric Clapton hat sich extrem geärgert, dass er nicht teilgenommen hatten.

Die Rolling Stones waren auch angefragt.
Die Rolling Stones hatten keine Lust, Bob Dylan hatte keine Lust, die Band Chicago wurde vom eigenen Management zurückgepfiffen, weil Santana da gespielt hat und im gleichen Management war, Jethro Tull hatten keine Lust, weil sie keine Lust hatten vor einem Haufen Nackten und bekifften Hippies zu spielen, The Byrds um David Crosby sind nicht aufgetreten, weil sie Angst hatten, dass sie nicht bezahlt werden und haben sich dann auch geärgert. Es gibt einige, die sich im Nachhinein geärgert haben.

Und kann man sagen, dass die Bands, die da waren, nur dadurch berühmt geworden sind?
Nein. Es gab sicher ein paar Bands, für die Woodstock ein großer Karrierebooster war, und der bekannteste ist sicherlich Joe Cocker, der für nur 750  Dollar mit seiner Grease Band gespielt hat, einer großen Band. Profitiert haben sicherlich alle davon, aber dass die Karriere dadurch richtig ins Rollen kam, da ist Joe Cocker der Einzige, über den man das vielleicht sagen kann.

Wie hat Woodstock die Musikwelt verändert?
Woodstock war musikalisch eher eine schwache Nummer. Nicht umsonst haben viele Bands bis dieses Jahr verboten, die Auftritte zu veröffentlichen. Janis Joplin zum Beispiel war mit ihrem Auftritt nicht zufrieden, The Band wollten sich nicht filmen lassen, Neil Young hat sich aus dem Film rausschneiden lassen. Woodstock hat aber das Live-Geschehen verändert. Bis heute sagt man, dass die Technik viel zu klein war für so viele Leute, aber an sich war die Bühnentechnik vor Ort schon revolutionär. Ich würde mal sagen, 70  Prozent der Leute, die in Woodstock waren, können sich entweder nicht mehr daran erinnern, dass sie da waren, und zum Zweiten können sie sich auch nicht daran erinnern, wie es geklungen hat, weil man nicht viel gehört hat.

Haben Sie sich auch damit befasst, wie das Festival über den Atlantik geschwappt ist und in Deutschland und der DDR rezipiert wurde?
In der DDR gar nicht. Das hat in der DDR überhaupt niemanden interessiert, weil die Kommunikation überhaupt nicht da war. Das kam erst viel, viel später nach Ostdeutschland. In Westdeutschland und Westeuropa war es durchaus ein Thema. Die haben ja nicht hinter dem Mond gelebt. Und sicherlich werden sie sich einiges abgeguckt haben, aber es gab mit dem Isle of Wight Festival schon 1968 auch große Festivals in Europa.

Aber trotzdem hat es die Leute auch in der DDR beschäftigt.
Ja, aber das war wahrscheinlich später, vielleicht Mitte der 70er Jahre. Die Musikgeschichte sagt, dass in der DDR im Mainstream alles mit zehn Jahren Verspätung ankam. Sicherlich wird zum Beispiel das Album, das 1970 erschienen ist, auf mysteriösen Wegen auch in die DDR gelangt sein, über den Schwarzmarkt. Ich weiß, ich habe für meine Woodstock-Kopie 1988 300 Ost-Mark bezahlt.

Haben Sie das Gefühl, dass der Geist heute noch da ist?
Ich bin da eher nüchtern. Ich glaube das eher nicht. Es wäre sicherlich zu wünschen und toll, wenn ein Teil dieser Idee bei den Menschen weiter da wäre. Aber die Zeit ist vorbei, das ist 50 Jahre her. Und Geschichte wiederholt sich in der Regel nicht.