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Magdeburg-PassStreit um Geld und Gerechtigkeit

Seit fast einem Jahr berät der Stadtrat darüber, ob mehr Magdeburger mit Mini-Einkommen in den Genuss von Vergünstigungen kommen sollen.

Von Katja Tessnow 23.08.2017, 01:01

Magdeburg l Im September 2016 beantragten die Fraktionen von Linke und Gartenpartei die Ausweitung des Magdeburg-Passrechtes auf größere Bevölkerungskreise. Aktuell können Einwohner, die für ihren Lebensunterhalt auf staatliche Hilfen angewiesen sind und solche, die durch Arbeits- oder Renteneinkommen nur bis zu zehn Prozent mehr Geld zur Verfügung haben, den Magdeburg-Pass nutzen. Das 1994 eingeführte Dokument sichert dem Inhaber eine Reihe von Vergünstigungen vom ermäßigten Eintritt in kommunale Einrichtungen bis zum Zuschuss für die Nutzung von Bus und Bahn.

Linke und Gartenpartei attestieren der aktuellen Praxis enorme Lücken, soll sie tatsächlich helfen, allen Bevölkerungsteilen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu sichern. Für einen Einpersonenhaushalt gilt derzeit ein Einkommen von bis zu 829,40 Euro als Oberkante zur Ausstellung des Magdeburg-Passes. Dementgegen lag die Armutsschwelle in Deutschland bereits Anfang 2016 bei 917 Euro für einen Singlehaushalt. Als arm gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens in ganz Deutschland erzielt.

Die genannten Fraktionen forderten eine Anhebung der Bemessungsgrenze fürs Passrecht auf 125 Prozent dessen, was Menschen im Sozialgeldbezug bekommen – für einen Singlehaushalt wären das 942,50 Euro.

Nach langwierigen Beratungen, einige Stellungnahmen aus der Verwaltung später sowie Anhörungen von Wohlfahrtsverbänden stand der 2016 vertagte Vorschlag zur jüngsten Ratssitzung erneut zur Abstimmung. Eine Entscheidung fiel erneut nicht.

Ausgerechnet aus den Reihen der Sozialdemokraten kam der Geschäftsordnungsantrag, die Angelegenheit erneut in die Ratsausschüsse zu vertagen – zur Haushaltsberatung 2018. SPD-Fraktionschef Jens Rösler begründete den Vorstoß seiner Reihen mit der Unklarheit über die finanziellen Auswirkungen des Beschlusses. Linksfraktionschef Oliver Müller konterte: „Wir warten seit Monaten vergeblich auf Zahlen aus der Verwaltung. Wir haben wiederholt in den Ausschüssen beraten. Wir sind nicht bereit, länger zu warten und die betroffenen Menschen auch nicht.“

Grünen-Fraktionschef Olaf Meister sprach sich ebenfalls gegen die Vertagung aus, weil kaum zu erwarten sei, dass die Verwaltung bis zur Haushaltssitzung sagen könne, was das erweiterte Passrecht für Kosten verursachen würde. Für die Fraktion CDU/FDP/BfM behauptete deren Vorsitzender Wigbert Schwenke allerdings schlicht das Gegenteil und votierte auf Verschiebung der Debatte, „um Mehrkosten besser abschätzen zu können“.

Allerdings macht die Verwaltung, konkret das Sozialdezernat, keinen Hehl daraus, dass sie sich nicht in der Lage sieht aufzuschlüsseln, was das Passrecht kostet. Fakt ist: Allein der MVB-Ticket-Zuschuss (monatlich 5 Euro pro Passinhaber) schlug 2014 mit 257.000 Euro, 2016 aber schon mit knapp 430.000 Euro zu Buche (Prognose 2017: 520.000 Euro).

Für alle anderen Ermäßigungsbereiche würde, so die Sozialbeigeordnete Simone Borris, die Inanspruchnahme nicht erfasst. Selbst wenn zum Beispiel erhoben würde, wie oft Pass-Besitzer ermäßigt das Schwimmbad oder den Elbauenpark besuchen, sei das kaum von Belang. Schließlich, so Borris, sei die Frage berechtigt, ob solchen Einrichtungen durch Ermäßigungen Verluste entstehen oder sogar Mehreinnahmen, weil ohne Ermäßigung vielleicht generell weniger Besucher kämen.

Ebenso wenig sieht sich die Verwaltung in der Lage vorauszusagen, wie viele Magdeburger in der Zukunft überhaupt den Pass beantragen. Aktuell nutzen nach Aussage von Borris von knapp 40.000 Anspruchsberechtigten nur rund 16.400 das Dokument. Rund 330 Anträge auf dessen Ausstellung wurden 2016/17 abgelehnt, weil die Antragsteller über der Bemessungsgrenze lagen.

Kurz: Die Verwaltung kann und/oder will heute keine Kostenschätzung vorlegen und wird dies morgen (oder bis zur Haushaltsberatung) auch nicht tun. Ihre Empfehlung an den Rat lautete: Bemessungsgrenze beibehalten, keine Anhebung.

Eine Ratsmehrheit aus SPD und CDU/FDP/BfM glaubt trotzdem an tiefere fiskalische Einsichten bis zur Haushaltsberatung – oder täuschte diesen Glauben aus politischen Gründen vor – und vertagte die Entscheidung zum Passrecht für mehr Magdeburger.

Der Initiator der Passdebatte, der Linke Karsten Köpp, machte nach dem Beschluss in einer persönlichen Erklärung seiner Enttäuschung Luft. Er nannte die erneute Verschiebung „politisch feige und politisch verantwortungslos gegenüber Menschen, die auf den Pass angewiesen sind“.