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Neue Musik Mit dem Taktstock zum eigenen Ensemble

Zwischen Musik und Mathematik spielt sich das Leben des 19-Jährigen Magdeburgers Finn Wiersig ab. Er gründete das Ensemble Junge Musik.

Von Christina Bendigs 21.01.2019, 00:01

Magdeburg l Wer glaubt, Jugendliche würden nur vor dem Computer sitzen oder mit ihren Smartphones spielen, der sollte einmal eine Probe des Ensembles Junge Musik besuchen. Schüler ab 13 Jahren haben sich darin zusammengeschlossen und arbeiten mit einer Ernsthaftigkeit und Konzentration an Stücken der Neuen Musik, die Carsten Gerth vom Gesellschaftshaus in Staunen versetzt. Auch am 19. Januar 2019 haben sie geprobt. Um 10 Uhr ging es los und dann nach einer zweistündigen Mittagspause bis 18 Uhr weiter. Bis zuletzt sind die Schüler aufmerksam bei der Sache und lassen sich von ihrem Dirigenten Finn Wiersig anleiten. Er hat die jungen Musiker zusammengebracht und hofft, dass das Ensemble Junge Musik noch lange bestehen wird.

Seinen Ursprung hat das Ensemble am Domgymnasium. Denn dort war es Tradition, dass jeder Jahrgang einen Chor gründet. Den leitete der musikalisch begabte und interessierte 19-Jährige und wollte für eine Aufführung ein Werk mit einem kleinen Orchester darbieten. Gesagt, getan. Viele sind geblieben, haben weitere Nachwuchsmusiker mitgebracht, und so hat es das Orchester mit derzeit 15  Mitgliedern zum Ensemble of Residence des Gesellschaftshauses geschafft. Auf diese Weise sollen in jedem Jahr andere Musiker gefördert werden.

Wenn die Musik auch eine sehr große Leidenschaft für ihn ist, studiert Finn Wiersig inzwischen Mathematik – seine andere große Leidenschaft. Mit dem Ensemble hat er es geschafft, für beide Raum zu schaffen. „Die Musik war mir zu unsicher. Und ich denke, wenn man sich nur mit Musik befasst, wird man irgendwann auch ein bisschen betriebsblind“, sagt er. Viele Musiker würden sich Input von außen holen. Mathematik und Musik seien sich teilweise sogar sehr ähnlich – man müsse aus vielen Richtungen gucken und vorsichtig damit umgehen. Aber in der Musik würden öfter Dinge geschehen, die man sich nicht erklären kann, wenn er zum Beispiel seinem jungen Ensemble einen kleinen Hinweis für einen Akzent gibt, und plötzlich gar nichts mehr funktioniert.

Umso dankbarer ist er, dass die Instrumentalisten auch mit ihm viel Geduld haben, nicht übel nehmen, wenn er etwas mal nicht weiß, das er noch nicht wissen kann. Außerdem freut er sich, wie viel er durch das Ensemble lernt. Hilfe beim Dirigieren bekommt er von Pavel Poplawski der Magdeburger Philharmonie. Seit zwei Jahren geht er je nach Bedarf zum Unterricht zu ihm.

Viel Zeit für anderes bleibt neben der Mathematik und der Musik nicht. „Ich würde gern mehr über Geschichte und Philosophie lesen“, sagt Finn Wiersig. Zur Entspannung baue er das hin und wieder mit ein. Und auch Kochen, und zwar komplexere Gerichte, würde er gern mehr. Wenn ihm ein Freitagnachmittag zur Verfügung steht, kann sich der kürzlich in eine eigene Wohnung gezogene junge Mann nichts Schöneres vorstellen. Kochen, das ist ja gewissermaßen auch komponieren, nur mit anderen Komponenten eben.

Aber auch in der Musik komponiert er gern, hat schon in jungen Jahren in der Komponistenklasse Sachsen-Anhalt gelernt – zusätzlich zum Bratsche- und Klavierspiel. Aber erst beim Dirigieren hat er seine musikalische Heimat gefunden.

Um das Ensemble noch lange zu erhalten, wird nun auch landesweit nach Mitwirkenden gesucht. 15 Mitglieder zählt die Gruppe aktuell. Und wenn es bei dieser Größe bleibt, würde er sich freuen. Aber wenn es mehr werden, er wolle es niemandem verwehren, sich mit Neuer Musik zu befassen, zumal es dafür nicht allzu viele Gelegenheiten gibt.

Wer sich gern selbst einen Eindruck von der Arbeit der Nachwuchsmusiker verschaffen will, hat die Gelegenheit dazu im März 2019. Denn dann geben sie im Gesellschaftshaus ihr Konzert.

Musikalisch geht es dann weit zurück in der Geschichte, nämlich ins Mittelalter zum Komponisten Pérotin, von dem Finn Wiersig zwei Werke für sein Ensemble arrangiert hat. Darauf basierend haben die zeitgenössischen Komponisten René Hirschfeld und Reiko Füting zwei weitere Stücke geschrieben, die ebenfalls zur Aufführung kommen werden. Den Kompositionsauftrag hat das Gesellschaftshaus vergeben. Der junge Dirigent beschreibt sie als sehr gefühlvoll und emotional. Was Neue Musik ausmacht, kann er gar nicht so richtig fassen. „Denn es gibt so viele verschiedene Strömungen, die sich entwickeln. Vielleicht ist es gerade das“, sagt er.