Originale zu haben Ein Brief von Otto

Die Volksstimme geht in Magdeburg auf die Suche nach Originalschriften von Otto von Guericke.

Von Robert Gruhne 18.05.2017, 23:01

Magdeburg l „Das war eine Gemeinschaftsaktion“, erinnert sich der Leiter der Universitätsbibliothek Eckhard Blume. Für den Kauf im Herbst 2007 setzten sich neben der Otto-von-Guericke-Universität auch das Stadtarchiv, das Kulturhistorische Museum und die Otto-von-Guericke-Gesellschaft ein. Erworben wurde der von Otto von Guericke original unterschriebene Brief vom 7. Dezember 1646 schließlich für 23.800 Euro mit Fördermitteln der Lotto Toto GmbH Sachsen-Anhalt.

Er erzählt von Guerickes wohl wichtigster diplomatischer Mission gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges. Der Rat schickte Otto von Guericke – damals noch Otto Guericke, denn den Adelstitel bekam er erst 1666 – mit hohen, wenig realistischen Zielen auf den Westfälischen Friedenskongress nach Münster und Osnabrück. Dort sollte er für Magdeburg die Reichsfreiheit und mehr erreichen, obwohl die Stadt noch nicht einmal offiziell zum Kongress eingeladen war.

Nur mit viel diplomatischem und taktischem Geschick konnte er die Teilnehmer für sich gewinnen. In dem von der Bibliothek erworbenen Brief unterrichtete er den Rat der Stadt über seine Unterredungen mit einem schwedischen Gesandten. Die abgespeckten Forderungen Magdeburgs - ohne Reichsfreiheit - fanden ihren Platz schließlich in einem eigenen Paragraphen im Westfälischen Frieden, was die Stadt in ihren Privilegien bestätigte und als Erfolg gefeiert wurde. Otto von Guericke kehrte umjubelt nach Magdeburg zurück.

Mehrere Jahrhunderte verschollen, tauchte der Brief schließlich in der Sammlung Adam auf, einer Industriellen-Familie aus Staßfurt, die sich u. a. mit der Geschichte ihrer Heimat beschäftigte. 1980 wurde die Sammlung aufgegeben und versteigert. Der Guericke-Brief gelangte mit der Zeit in ein Antiquariat in Osnabrück, das ihn 2007 an die Universitätsbibliothek verkaufte. Wenige Monate später konnte die Bibliothek noch einen zweiten Brief erwerben, der mit 12.000 Euro „nur“ halb so teuer war.

Obwohl die Universitätsbibliothek noch recht jung ist – erst 1953 nahm sie ihren Betrieb als Bibliothek der Hochschule für Schwermaschinenbau Magdeburg auf – finden sich heute auch Altbestände bis zurück ins Jahr 1527 im Haus. Möglich gemacht wurde das u. a. durch Förderprogramme nach der Wende.

Altbestände wie die Guericke-Briefe sind für Historiker aber besonders wertvoll, denn sie ermöglichen neue Blickwinkel, weiß Direktor Blume: „Aus kleinen Nebenbemerkungen und Unterstreichungen wird Geschichte neu lebendig.“

Solche Antiquitäten sind für Annerose Busse, die Inhaberin des Magdeburger Antiquariats, Leidenschaft und Geschäft zugleich. Sie stand der Universitätsbibliothek beim Kauf mit ihrem Sachverstand beiseite. Ihr ist es auch zu verdanken, dass eine weitere Guericke-Handschrift ihren Weg nach Magdeburg fand: Ebenfalls 2007 wurde bei einer Auktion ein Originalbrief von 1653 vom Reichstag in Regensburg angeboten. Annerose Busse entdeckte die Versteigerung, kaufte den Brief und bot der Stadt das Vorkaufsrecht an. Sie weiß: „Otto von Guericke ist international durch seine naturwissenschaftlichen Leistungen berühmt und gegehrt“.

Solche Autographen, also handgeschriebene Schriftstücke, sind beliebte Geldanlagen, da sie einfach zu lagern sind. Annerose Busse war es jedoch wichtig, dass der Brief nach Magdeburg gelangt. Es sei „ein großes Glück, dass uns das gelungen ist“, erinnert sie sich.

Zugeschlagen hatte damals die Kulturstiftung Kaiser Otto für ebenfalls 12.000 Euro mit finanzieller Unterstützung der Stadtsparkasse. Seitdem ist der Brief als Depositum im Stadtarchiv hinterlegt. Er füllt im Bestand eine Lücke, denn vorher waren keinerlei Briefbestände Guerickes vom Reichstag in Regensburg vorhanden.

Otto von Guericke versuchte dort ein letztes Mal, die Reichsfreiheit für Magdeburg zu erreichen. Bei den Verhandlungen nutzte er 1654 auch seine spektakulären physikalischen Experimente. Am Ende vergeblich, denn die Entscheidung hinsichtlich der Reichsfreiheit war schon gefallen.

Dieses wertvolle Einzelstück ist im Stadtarchiv jedoch bei Weitem nicht die einzige erhaltene Schrift Otto von Guerickes. „Aus Altbeständen haben wir relativ viel Material“, weiß der Leiter Dr. Christoph Volkmar. Da Otto von Guericke als Ratsherr, regierender Bürgermeister und diplomatischer Vertreter für die Stadt tätig war, finden sich viele seiner Schriftstücke seitdem im Stadtarchiv.

Doch nicht alle Dokumente überlebten bis heute: Große Teile, darunter der Familiennachlass der von Guerickes, wurden während des Zweiten Weltkrieges zerstört. Noch nach Kriegsende brach im Kalischacht Staßfurt, wohin die Akten des Archivs ausgelagert worden waren, ein Brand aus und vernichtete insbesondere die ältesten Schriften.

Und trotzdem lagere im Stadtarchiv noch heute „ein großer Schatz für die städtische Erinnerungskultur“, erzählt Leiter Dr. Volkmar. Die Akten sind auf zahlreiche Archivalien verteilt, so dass eine genaue Zahl der Autographen im Stadtarchiv momentan nicht zu benennen ist. Auch die älteste noch erhaltene Urkunde – die Magdeburger Kirchenordnung von 1652 – trägt Otto von Guerickes Unterschrift.

Dr. Volkmar erklärt, dass es für das Stadtarchiv in erster Linie wichtig ist, „das gewachsene Archiv zu bewahren“. Für teure Ankäufe habe man im Archiv auch gar kein spezielles Budget. „Aber es gibt auch nicht nur die Möglichkeit, anzukaufen“, weiß der Leiter. Auch Schenkungen und Depositalverträge sind möglich.

Für die Universitätsbibliothek ist die Möglichkeit, wertvolle Werke wie die Guericke-Briefe zu erwerben, heute ebenfalls schwieriger, da die Mittel immer begrenzter sind. „Unsere tägliche Arbeit ist die Versorgung der Mitarbeiter und Studenten mit aktuellen Werken“, hält Direktor Eckhard Blume fest. Aber auch hier wird die Bibliothek heute aus Kostengründen teilweise dazu gezwungen, laufende Veröffentlichungen abzubestellen. Und trotzdem: „Natürlich würde ich mich freuen, auch in Zukunft Werke unseres Namenspatrons kaufen zu können.“

Dass das nicht ganz einfach ist, weiß auch der stellvertretende Direktor Dr. Jürgen Heeg: „Solche Ankäufe sind nicht planbar. Sie sind abhängig vom Antiquitätsmarkt. Und dann muss man schnell reagieren.“ Als Bibliothek müsse man sich dann immer erst um die Mittel zum Erwerb bemühen. Eckhard Blume war wichtig, dass die Briefe „nicht in einem Privatsafe landen. Dann wären sie für die Allgemeinheit nicht nutzbar“. Sowohl die beiden Briefe der Universitätsbibliothek als auch die Bestände des Stadtarchivs sind für die Öffentlichkeit nutzbar – wenn auch nicht unbeschränkt, da Licht und Feuchtigkeit ihnen sonst zusetzen.

Spezielle Lagerbedingungen sind notwendig. In der Universitätsbibliothek sind die beiden Briefe die meiste Zeit im Panzerschrank verschlossen. Wer mit den Dokumenten arbeiten möchte, kann bequem auf digitale Versionen zurückgreifen. Nicht nur Angehörige der Universität, sondern auch andere Interessierte können das Angebot der Bibliothek nutzen.

Zur Langen Nacht der Wissenschaft werden die Originalbriefe hier das nächste Mal der Öffentlichkeit präsentiert. Am Sonnabend, 20. Mai, von 18 bis 23 Uhr, können interessierte Besucher in einer kleinen Ausstellung im Foyer der Universitätsbibliothek selbst einen Blick auf die Briefe werfen. Auch wenn große Teile - 80 Prozent - der neu gekauften Medien der Bibliothek heute digital sind, sind solche Originale für viele faszinierend.

In diesem Jahr ist wieder ein echtes Guericke-Schriftstück nach Magdeburg gelangt: Zufällig zehn Jahre nach dem ersten Fund ist Antiquarin Annerose Busse bei einem renommierten Auktionshaus in Berlin fündig geworden und hat ein Autograph ersteigert.

Diesmal handelt es sich um keinen Brief, sondern um eine öffentliche Aufforderung Otto von Guerickes an seine Schuldner vom 24. November 1661. Bis zum Nikolaustag, also dem 6. Dezember, solle jeder das ihm gebührende „ZehendKorn“ abliefern. Das Schriftstück mit Unterschrift möchte Busse nun wieder innerhalb der Stadt anbieten. Wer weiß, welche neuen Erkenntnisse über Otto von Guericke es noch bereithält.