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Pandemie Wie gefährdet sind Kinder im Lockdown?

Kinder sind vom Lockdown besonders betroffen. Ob sie mehr Gefahren ausgesetzt sind, wollte die Die Linke im Magdeburger Stadtrat wissen.

Von Peter Ließmann 01.02.2021, 13:39

Magdeburg l Im Lockdown rücken die Familien dichter zusammen, unter anderem auch, weil Schulen, Kitas und Institutionen der Jugendbetreuung geschlossen haben. Die Fraktion der Linken im Magdeburger Stadtrat befürchtet allerdings zu Recht, dass gerade in angespannten Familiensituationen besonders die Kinder keine Rückzugsmöglichkeiten haben und ihrer sozialen Außenkontakte beraubt sind. Sie sind gefährdeter also sonst, in der Fachsprache der Sozialpädagogik heißt das, das Kindeswohl ist gefährdet. Die Linke wollte vom Sozial- und Jugendamt der Stadt darum wissen, ob es 2020 mehr Verdachtsfälle von Kindeswohlgefährdung in Magdeburg gegeben hat.

Sozialbeigerodnete Simone Borris meldete in einer Antwort auf die Anfrage sogar einen leichten Rückgang an Gefährdungsfällen. Demnach wurden 2019 genau 688 Fälle vom Jugendamt bearbeitet, 2020 waren es 674 Fälle. Damit liege das Pandemie-Jahr 2020 im Durchschnitt der vergangenen Jahre. Das seien durchschnittlich 56 bis 57 Fälle pro Monat.

Andrea Wegner, Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes Sachsen-Anhalt, ist von der Anzahl der Fälle überrascht. Der Kinderschutzbund gehe von einer größeren Gefährdungslage für Kinder im Lockdown aus. Erste wissenschaftliche Untersuchungen hätten gezeigt, dass mit einem Anstieg von rund 14 Prozent gerechnet werden müsse. Diese Einschätzung werde auch durch die aktuellen Zahlen des „Kinder- und Jugendtelefons“ und des „Elterntelefons“, die vom Kinderschutzbund angeboten werden, gestützt.

Andrea Wegner legt Vergleichszahlen vor: Vom 24. Dezember 2019 bis zum 10. Januar 2020 gingen am Kinder- und Jugendtelefon 16.731 Anrufe ein. Vom 24. Dezember 2020 bis zum 10. Januar 2021 waren es 18.017 Anrufe, also 23,7 Prozent mehr. Am Elterntelefon falle die Steigerung mit 82,8 Prozent noch deutlicher aus. „Ich gehe davon aus, dass Magdeburg keine ,Insel‘ ist, in der alles besser aussieht“, sagt Andrea Wegner. Und liefert dann aber durchaus eine Erklärung, warum es in Magdeburg anders sein könnte. „Die Stadt hat einen sehr guten Job in der Pandemie gemacht.“

Konkret meint Andrea Wegner den Bereich der Familien-Sozialarbeit. „Die Sozialarbeiter der Stadt haben ihre Arbeit einfach weitergemacht und den Kontakt zu den Familien und damit zu den Kindern und Jugendlichen nicht abreißen lassen“, so die Beobachtung des Kinderschutzbundes. Den gefährdeten Familien wurde gezeigt, dass sie nicht allein seien. Besonders für die betroffenen Kinder sei das von „sehr großer Bedeutung“. Auch vielen Schulsozialarbeitern und Lehrern bescheinigt Andrea Wegner ein großes Engagement, um die Kinder im Lockdown zu unterstützen.

Erwiesenermaßen ist die Dunkelziffer bei Kindeswohlgefährdung hoch. Und für die Pandemie und den Lockdown sei damit zu rechnen, dass sich die Dunkelziffer noch erhöhen werde. Indirekt geht auch das Sozialdezernat der Stadt von einem verdeckten Anstieg aus. Schulen, Kindergärten und andere Jugendeinrichtungen seien geschlossen und dass seien genau die Bereiche, die als „Melder“ fehlen würden. Die Linke wollte in der Anfrage auch wissen, wer denn dem Jugendamt die Gefährdung von Kindeswohl melde. Für das Jahr 2020 könne das Sozialdezernat noch keine genau Statistik darüber vorlegen, wer wann welche Fälle gemeldet habe.

Auch die Frage, wie viel Verdachtsfälle von den Krankenhäusern in Magdeburg dem Sozialen Dienst des Jugendamtes im vergangenen Jahr gemeldet wurden, konnte vom Sozialdezernat nicht beantwortet werden. Eine differenzierte Aussage sei nicht möglich, da entsprechende Meldungen unter der Kategorie (Sammelbergriff) „Hebamme/Arzt/Klinik/Gesundheitsamt u. ä. Dienste“ erfasst würden.

In diesem Zusammenhang ergab eine Anfrage bei der Polizei, dass immer dann, wenn die Polizei auf mögliche Fälle von Kindesmisshandlung oder von Gefährdung des Kindeswohls aufmerksam werde, die zuständigen Jugendämter darüber informiert würden. Und umgekehrt bekomme die Polizei Hinweise von den Jugendämtern zu entsprechenden Verdachtsfällen, um möglicherweise polizeiliche Ermittlungen einzuleiten, so Polizei-Pressesprecherin Tracy Bertram.