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Pflege-WG illegal? Intensivpatienten sollen raus

Hilferuf: Sechs schwerstpflegebedürftige Mieter einer Wohngemeinschaft sollen ihre Zimmer räumen - wegen rechtswidriger Nutzung.

Von Robert Richter 19.09.2015, 01:01

Magdeburg l Gabi Severin weiß kaum noch, wo ihr der Kopf steht. Für einen Angehörigen, der rund um die Uhr eine Intensivpflege benötigt, sucht sie seit Tagen verzweifelt eine neue Unterkunft. „Nach einem Schlaganfall mit Hirnblutung, den er mit 64 Jahren erlitt, ist er, halbseitig gelähmt, rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen, um nicht zu ersticken. Er trägt eine Trachial­kanüle in der Luftröhre sowie eine Magensonde“, erzählt Severin, die sich neben ihrer Arbeit um den schwer kranken Lebenspartner ihrer Mutter kümmert. Andere benötigen Beatmungsmaschinen oder spezielle Behandlungen.

Die WG, die auch Gemeinschaftsräume bietet, ist für solche Fälle speziell ausgestattet. „Die hilfebedürftigen Menschen sind aus unserer Sicht dort sehr gut aufgehoben“, sagt Severin. Sie gehört dem Beirat der Intensiv-WG am Stern in Olvenstedt an. Dort lebt ihr Angehöriger mit fünf weiteren pflegebedürftigen Mietern unter einem Dach, selbstbestimmt und selbstverwaltet. Für die Pflege schließt jeder Bewohner eigenständig einen Vertrag mit einem ambulanten Dienst ab.

Das große Problem: Das Magdeburger Bauordnungsamt hat vor einigen Tagen schriftlich mitgeteilt, dass alle Bewohner bis zum 30. September rausmüssen. Grund: Das private Wohnprojekt, das seit 2012 an der Olvenstedter Chaussee in Räumen einer früheren Tagespflege beheimatet ist, nutze diese Räume rechtswidrig. Brandschutzauflagen würden nicht erfüllt, heißt es in dem Schreiben, das der Volksstimme vorliegt.

Was sagt der Vermieter? „Wir verstehen die Welt nicht mehr. Es ist für uns unverständlich, wie es zu dieser verfahrenen Situation kommen konnte“, sagt Ursula Jöhnk von der Schneider Vermögensverwaltung: „Wir haben schon in der Vergangenheit wegen strengerer Auflagen Brandschutzvorrichtungen in dem Gebäude aufgerüstet. Zuletzt haben wir für die WG von einer ausgewiesenen Fachfirma ein neues Brandschutz- und Evakuierungskonzept mit zweitem Fluchtweg über eine benachbarte, mit Feuerschutzwand abgetrennte Mieteinheit vorgelegt und dafür alles vertraglich geregelt. Jetzt werden weitere kostenintensive Investitionen wie eine Außentreppe und Brandschutzmauern gefordert, die für uns durch Mieteinnahmen schlicht nicht refinanzierbar sind.“

Wolfgang Seidel, der vor Ort als Verwalter des Wohnprojekts fungiert, zeigt sich ratlos: „Die Heimaufsicht des Landes war hier, hat die Räume nicht beanstandet und uns als selbstbestimmte Wohngemeinschaft anerkannt. Es handelt sich hier um private Wohnräume. Wir sind kein Pflegeheim.“

Die Stadt verlangt den Auszug: „Die Pflegeeinrichtung für Personen, die in ihren Selbstrettungsmöglichkeiten eingeschränkt sind, wird ohne die erforderliche Baugenehmigung betrieben“, begründet Stadtsprecherin Kerstin Kinszorra. Deshalb sei die Bauaufsichtsbehörde zum Einschreiten verpflichtet.

Auch Verwalter Seidel sucht inzwischen händeringend nach einer Alternative. „Vielleicht kann uns ein Vermieter mit geeigneten Räumlichkeiten helfen“, hofft er.

Stadtsprecherin Kerstin Kinszorra betont, es gebe keine amtliche Verfügung, die WG zum 30. September zu räumen, sondern „lediglich ein informelles Schreiben“. Während die Volksstimme den Fall recherchierte, stellte die Bauverwaltung den Mietern ein neues Schreiben zu. Darin wird die Frist zum Auszug bis zum 30. November verlängert. „Das Bauordnungsamt wird alle notwendigen Maßnahmen veranlassen, um Härtefälle auszuschließen“, verspricht die Pressesprecherin der Stadt.

Bewohnervertreterin Gabi Severin sagt: „Wir möchten uns nicht mit der Stadt streiten. Wir brauchen schnell eine Lösung für unsere pflegebedürftigen Angehörigen.“