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Pflegefamilien Magdeburg sucht Zuhause auf Zeit

110 Familien, die sich um Pflegekinder kümmern, gibt es bereits in Magdeburg. Doch das ist nicht genug.

Von Franziska Ellrich 11.10.2017, 11:00

Magdeburg l Pflegekinder werden in zwei Familien groß. Es gibt zum einen ihre leiblichen Eltern, bei denen sie vorerst nicht mehr leben können. Weil Dinge passiert sind, „bei denen wir als Jugendamt eingreifen müssen“, erklärt Alexander Selig vom Pflegekinderdienst.

Zum anderen gibt es die Pflegeeltern. Gut 90 Prozent der Kinder würden bis zu ihrem 18. Lebensjahr in ihrer Pflegefamilie bleiben, manchmal sogar bis sie 21 Jahre alt sind, spricht Selig aus Erfahrung.

Doch der Kontakt mit den leiblichen Eltern bleibt, regelmäßige Treffen gehören dazu. Genau diese Besuche seien immer wieder ein Knackpunkt, macht Selig deutlich, „der uns und die Pflegeeltern viel beschäftigt“. Doch wie bei Scheidungskindern gehe es eben nicht darum, wer meint, das Kind lieber zu haben, sondern es müssten einvernehmliche Lösungen gefunden werden.

Das ist der größte Unterschied zwischen Pflege- und Adoptiveltern. Vielleicht ein Grund, warum es für Adoptionen immer ausreichend Bewerber gibt, für die Vollzeitpflege eher zu wenig. In diesen Fällen bleibt das Pflegekind rechtlich das Kind der leiblichen Eltern.

Zur letzten Informationsveranstaltung des Pflegekinderdienstes der Stadt Magdeburg sind zehn Magdeburger gekommen, die sich vorstellen können, in ihrem Zuhause ein Pflegekind aufzunehmen, ihm ein anderes Familienmodell mit auf den Weg zu geben, als es von den leiblichen Eltern kennt. Marco Jeske und Alexander Selig vom Jugendamt erklären, was dazugehört, räumen Unsicherheiten aus. Zwei ältere Frauen wollen wissen, ob es eine Altersgrenze gibt, um Pflegeeltern zu werden.

Den Mitarbeitern vom Pflegekinderdienst zufolge gebe es zwar keine gesetzlichen Vorgaben, aber grundsätzlich würde man keinen Säugling in die Obhut von jemandem geben, der weit über 40 Jahre alt ist. Warum, macht Alexander Selig deutlich mit der Frage: „Will ich mich mit 75 Jahren wirklich noch mit Pubertätsproblemen auseinandersetzen?“ Maßgabe ist deshalb: Der Altersunterschied zwischen Kind und Pflegeeltern sollte nicht mehr als rund 40 Jahre betragen.

Doch laut Marco Jeske und Alexander Selig könnten die beiden interessierten Frauen eine große Unterstützung im Bereich der Bereitschafts- oder Kurzzeitpflege sein. Geht es nämlich darum, dass Kinder ganz kurzfristig in Obhut genommen werden müssen, weil es in ihrer Familie eine akute oder auch gefährliche Krisensituation gibt, herrscht in Magdeburg Notstand.

Es gibt derzeit nur vier Familien mit sechs Plätzen, die bereit sind, immer wieder andere Kinder für ein paar Tage aufzunehmen, bis deren Situation vom Jugendamt geklärt ist. Bei dieser Art der Pflegefamilie sei es allerdings ausgeschlossen, dass beide Eltern Vollzeit arbeiten. Alexander Selig: „Es kann jederzeit ein Anruf vom Kinder- und Jugendnotdienst kommen: Hier ist ein Säugling, der abgeholt werden muss.“

Wer sich für so eine kurzzeitige Pflege entscheidet, muss sich „schnelles Willkommenheißen und Abschiednehmen“ vorstellen und sowohl die Pflegeeltern selbst als auch die eigenen Kinder das aushalten können, macht Teamleiter Selig deutlich. Selbstverständlich gebe es auch einen Anspruch auf Urlaub und damit eine Pause für die Pflegeeltern. Zudem sei jederzeit eine psychologische Unterstützung möglich. Selig: „Niemand soll an so einer Situation zerbrechen.“

Was die Kurzzeitpflege betrifft, können aus ein paar Tagen bis zu sechs Monate werden. Wenn zum Beispiel der leibliche Vater oder die Mutter für einen geplanten Zeitraum an einer Suchttherapie teilnimmt.

Jedoch gibt es auch viele Fälle, in denen Kinder gar nicht mehr bei ihren eigenen Eltern leben können und bis sie volljährig sind bei ihrer Pflegefamilie bleiben. Dann spricht man von Dauerpflege – die unbedingt zur Lebenssituation der Pflegeeltern passen müsse, so die Mitarbeiter des Pflegekinderdienstes.

Alexander Selig zieht den anschaulichen Vergleich zu einem von der Decke hängenden Mobile: „Wenn ich dort etwas dran hänge, was vorher nicht da war, kommt die ganze Sache in Bewegung.“ Weil sich mit einem Pflegekind so viel verändert, ist für zukünftige Pflegeeltern die Teilnahme an einem Seminar Pflicht.

Auch Eignungsprüfung und Hausbesuche gehören zur Vorbereitung. Denn es muss nicht nur die Wohnung der Pflegeeltern groß genug, sondern auch das Einkommen gesichert sein – um sicher zu gehen, dass das Pflegegeld, welches zwischen 500 und 700 Euro pro Monat liegt plus 237 Euro für den Erziehungsaufwand, wirklich dem Kind zugutekomme.

Mindestens alle sechs Monate gibt es dann mit den Mitarbeitern der Stadt Magdeburg sogenannte gemeinsame Hilfeplanungen. Eine Pflegefamilie sei eben ein Stück weit auch eine „öffentliche Familie“.

Das nächste Seminar im November 2017 ist mit zehn Familien bereits ausgebucht. Für die Mitarbeiter des Pflegekinderdienstes sind das gute Nachrichten. „Unser Ziel ist es, für alle Kinder unter sechs Jahren zu ermöglichen, in einer Familie aufzuwachsen“, sagt Alexander Selig. Denn im Unterschied zum Heim arbeiten die Pflegeeltern nicht im Schichtbetrieb wie die Mitarbeiter der Jugendhilfe. Für die Kleinen sei das einfach der bessere Weg, „um feste Bindungen aufzubauen“.

Zuverlässigkeiten seien genau das, was die Pflegekinder brauchten. Ist ein Elternteil dieser Kinder zum Beispiel suchtkrank und könne deswegen Verabredungen nicht einhalten, wirke sich das auf alle Lebensbereiche des Kindes aus. Dafür eine Toleranz zu entwickeln, sei für die Pflegeeltern nicht immer einfach. Der Mitarbeiter vom Pflegekinderdienst erklärt: „Liebe ist das eine, das Kind auf einen guten Weg bringen das andere.“

Und viele von den Pflegekindern würden einen „guten Weg machen“, sagt Alexander Selig und räumt ein: „Es ist ein Angebot“ und auch wenn die Kinder später doch das Lebensmodell ihrer leiblichen Eltern wählen, seien „die Jahre in der Pflegefamilie ein wertvoller Schatz“.