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Psyche Wenn die Emotionen hochkochen

Seit Beginn der Corona-Pandemie sind viele Mitmenschen scheinbar reizbarer. Ein Haldensleber Facharzt erklärt, warum das so ist.

26.02.2021, 08:30
ILLUSTRATION - Zum Themendienst-Bericht vom 27. Januar 2021: Gereizte Stimmung, nervige Debatten? So geht es einigen Paaren im Lockdown. Der Grund dafür liegt aber nicht immer in der Beziehung selbst. Foto: Monique Wüstenhagen/dpa-tmn - Honorarfrei nur für Bezieher des dpa-Themendienstes +++ dpa-Themendienst +++
ILLUSTRATION - Zum Themendienst-Bericht vom 27. Januar 2021: Gereizte Stimmung, nervige Debatten? So geht es einigen Paaren im Lockdown. Der Grund dafür liegt aber nicht immer in der Beziehung selbst. Foto: Monique Wüstenhagen/dpa-tmn - Honorarfrei nur für Bezieher des dpa-Themendienstes +++ dpa-Themendienst +++ dpa-tmn

Haldensleben l Vom andauernden Lockdown, persönlichen und beruflichen Einschränkungen und der allgemein angespannten Situation in mehreren Lebensbereichen liegen die Nerven bei vielen blank. Die Hemmschwelle für Streitigkeiten wird anscheinend schneller übertreten. Doch woher kommt diese Aggressivität und hat sie durch die Extremsituation zugenommen? Die Volksstimme hat mit Ulrich Sandmann, Chefarzt der Erwachsenenpsychiatrie am Ameos-Klinikum Haldensleben, über das Thema gesprochen.
Volksstimme: Viele Menschen haben das Gefühl, dass ihre Mitmenschen seit Beginn der Pandemie aggressiver geworden sind. Können Sie das bestätigen?
Ulrich Sandmann: Ja es scheint so, dass sich der Trend zu mehr Aggressivität untereinander, verbunden mit zunehmender Respektlosigkeit, welche auch schon vor der Pandemie zu verspüren war, sich durch selbige weiter fortsetzt. Auch schon vor der Corona-Pandemie war eine Zunahme von Übergriffen auf „Helfer“ – Rettungsdienste, Mitarbeiter in Notdiensten, Feuerwehr, Polizei – zu verzeichnen.
Wie verändern solche Krisen die Psyche?
Jede Krise verändert uns Menschen. Entweder wir lernen etwas daraus und machen nicht wieder die gleichen Fehler oder wir lernen nichts daraus und gehen irgendwann schlussendlich unter. Inwiefern wir uns mit Veränderungen arrangieren können, hängt von der Resilienz des Einzelnen ab. Resiliente Menschen können sich relativ schnell auf neue Situationen einstellen und sich anpassen und dann vom einzelnen ausgehend „resiliente Gruppen“ bilden. Menschen sind im Kern sehr egoistische Wesen, die aber mehr oder weniger bewusst wissen, dass die Überlebenschancen in der Gemeinschaft ungleich größer sind, als auf sich allein gestellt. Eigentlich ist das etwas ganz Archaisches, das aber immer noch gilt.
Warum reagieren manche Menschen aggressiv?
Solche Reaktionen sind Ausdruck von erlebter Bedrohung, Hilflosigkeit, Kontrollverlust und Schuldverlagerungen auf andere - auf Politiker, auf Leute, die vermeintlich Schuld an der ganzen Misere sind.
Wie reagiert man am besten auf diese Aggression?
Da gibt es die Möglichkeit, alles zu ignorieren oder auszusitzen oder aber sich sachlich zu verteidigen, im eher ungünstigen Fall mit Gegenaggressionen zu reagieren oder zu kapitulieren und zu resignieren.
Was kann man tun, um die Wut zu zügeln?
Das ist wieder sehr individuell und hat auch wieder etwas damit zu tun, wie nah lasse ich es an mich heran. Manche Menschen lässt es kalt, die haben eine sehr hohe Frustrationstoleranz. Andere wiederum haben das nicht und sind entsprechend störanfälliger. Umso störanfälliger jemand ist, umso schwerer ist es für diesen auch, sich zu schützen.
Der Sensible erlebt die Beschimpfungen und Provokationen eher als verletzend und neigt dann zum Rückzug oder zur Resignation, der Explosible erkennt das dann eher als Provokation und neigt zum Gegenangriff verbal und schlimmstenfalls auch brachial.
Der beste Schutz ist deeskalierendes Denken und Handeln, denn eigentlich ist doch der Provokateur in der schwächeren Ausgangsposition. Beschimpft der eine den anderen, dass er schuld daran sei, dass es ihm schlecht gehe, bringt er doch damit zum Ausdruck, dass er nicht selbst derjenige ist, der die Lage beherrscht, also nicht mehr der Souveräne ist.
Wie entstehen Konflikte überhaupt?
Konflikte fallen nicht vom Himmel, sondern entwickeln sich. Der Psychologe Fritz Glasl hat neun Stufen der Konflikteskalation ausgemacht. Zunächst beginnt der Dissens mit Verstimmung, Verärgerung und dann Verhärtung. Daraus folgt eine Debatte bis hin zum Streit – es fallen polemische Äußerungen. Schnell wird aus dem früheren Miteinander ein Gegeneinander. Jede Partei sucht sich dann Mitstreiter und Koalitionen, um der eigenen Position mehr Gewicht zu verleihen. Das führt bei dem Konfliktpartner wiederum zu Gesichtsverlusten, Unterlegenheitsgefühlen und Ängsten wegen einer drohenden Demontage. Das Aussteigen aus dem Konflikt wird für die Beteiligten immer schwieriger. Mit offenen Drohungen und ersten begrenzten Vernichtungsschlägen soll dann das Gewollte erreicht werden. Oft ist hier schon gar nicht mehr erkennbar, worum es im Ursprung überhaupt ging. Ist die Konfliktlösung nun nicht mehr möglich, droht die Zersplitterung. Am Ende steht der Vernichtungswille. Es geht nur noch um den Sieg und die Durchsetzung in dieser Sache. Koste es, was es wolle – auch zum eigenen Nachteil.