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Telefonseelsorge Zwei Ohren und ein Herz

Wer die Nummer der Telefonseelsorge wählt, ist meist verzweifelt. Doch das Team in Magdeburg besteht größtenteils aus Ehrenamtlichen.

Von Jana Heute 30.11.2017, 00:01

Magdeburg l Manchmal sind es, so scheint’s, ganz banale Dinge. „Vor kurzem hat mich am Abend eine ältere Dame angerufen und erzählt, ich sei die erste menschliche Stimme außer ihrer eigenen, die sie an diesem Tag gehört habe. Das hat mich schon sehr berührt“, erzählt Anette Carstens, Leiterin der Telefonseelsorge Magdeburg.

Die Rentnerin, die anrief, hat niemanden. Sie lebt allein – und ist einsam. Banal ist das Problem deshalb keineswegs, denn Einsamkeit ist inzwischen eines der wichtigsten Themen am Telefon. „Die Menschen suchen einfach jemanden, mit dem sie reden können“, sagt Anette Carstens. Ihre ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen Inge und Doris (Namen von der Redaktion geändert, denn auch die Helfer wollen anonym bleiben) bestätigen diesen Eindruck. Selbst aus Altenheimen kämen solche Anrufe.

Inge ist schon seit 1996 bei der Telefonseelsorge im Ehrenamt tätig. Ihr christlicher Glaube hat sie dazu motiviert, für andere da zu sein. Das heißt: geduldig zuhören. Den Anrufern das Gefühl geben, dass da jemand ist, der das Problem und die oft schwierige Seelenlage ernst nimmt. Der versucht, sich hinein zu fühlen in die Situation des Anrufenden. „Wir haben zwei Ohren und ein Herz“, bringt es Inge auf den Punkt.

Auch Doris zählt schon viele Jahre zum ehrenamtlichen Team der Magdeburger Telefonseelsorge. Seit 2005 ist sie dabei – und nicht in der Kirche. Aber das ist gar kein Problem. Die Telefonseelsorge agiert zwar unter dem Dach der Kirche, ist aber offen für alle Helfer – egal, ob mit christlichem Glauben oder nicht.

Im Berufsleben trägt Doris persönlich große Verantwortung. Sie ist selbstständig und hat 30 Mitarbeiter unter sich. Und doch nimmt sie sich mindestens dreimal im Monat die Zeit fürs Ehrenamt bei der Telefonseelsorge. Auch Feiertage oder Nachtdienste sind dabei. Anders geht es nicht, denn die Sorgen der Menschen machen niemals Pause. Am Telefon öffnet sich Doris dann den Problemen der anderen, trägt die emotionale Last der unbekannten Anrufer ein Stück mit.

Es geht um Probleme in der Partnerschaft, Einsamkeit, Angst vor Krankheiten, berufliche Sorgen, Streit mit Nachbarn, Suchtprobleme, Suizidgedanken – manchmal ist es hart an der Grenze. Darum müssen die Helfer lernen, vieles auszuhalten und doch auch eigene Grenzen zu ziehen. Kraft kostet diese Aufgabe in jedem Fall, sagen Doris und Inge.

Warum sie das freiwillig machen? Man nehme sich selbst nicht mehr so wichtig, wenn man so viele Dinge am Telefon höre. „Es macht mich ehrfürchtig“, betont Doris. Und Inge sagt: „Wenn man den Eindruck hat, der Anrufer findet nach unserem Gespräch vielleicht für ein paar Tage eine emotionale Entlastung, dann ist das einfach ein gutes Gefühl, vielleicht etwas geholfen zu haben.“

Eine Bereicherung auch für das eigene Leben sehen die meisten Helfer, sonst würden sie diese schwierige Aufgabe nicht annehmen – noch dazu über oft viele Jahre.

Die verbesserte Selbstreflexion beginnt schon in der Ausbildung, sagen sie. „Da wirst du mit wichtigen Themen wie Trauer oder Ängsten konfrontiert. Und es werden dabei auch schmerzliche eigene Erfahrungen wach. Das war hart, aber letztlich auch hilfreich für mein persönliches Leben“, berichtet Inge von der Ausbildung. Diese ist Voraussetzung, bevor jemand sein Ehrenamt bei der Telefonseelsorge beginnen kann.

Die Ausbildung dauert ein dreiviertel bis zu einem Jahr und beinhaltet rund zwölf Abende und vier kurze Wochenenden, bei denen die künftigen Helfer das wichtige Rüstzeug für ihre Arbeit am Telefon bekommen. Außerdem stehen die erfahrenen Telefonseelsorger für den praktischen Teil der Ausbildung zur Verfügung.

Dass viele von ihnen oft über lange Zeit diese anspruchsvolle Aufgabe neben Beruf und Familie stemmen, erfüllt die Leiterin der Telefonseelsorge Anette Carstens mit Stolz. „Ich bin dankbar, dass es Menschen gibt, die bereit sind, so viel Zeit zu schenken“, sagt sie. Unterstützt wird die Telefonseelsorge daneben auch finanziell von der öffentlichen Hand, von der Stadt Magdeburg und den umliegenden Landkreisen. Letztlich ist das Team der Magdeburger Telefonseelsorge für das ganze nördliche Sachsen-Anhalt zuständig. Auch die Helfer kommen aus der Elbestadt und den umliegenden Kreisen.

Insgesamt 70 Helfer zählt das Team der Magdeburger Telefonseelsorge derzeit. Darunter sind fünf Männer, der Rest sind Frauen. Frauen seien wohl eher bereit, über Gefühle zu reden und sich zu öffnen. „Dabei geht es eigentlich mehr ums Zuhören. Und da gibt es auch Männer, die das sehr gut können“, meint Inge und fügt an: „Wir würden uns über ein paar mehr Männer in unserem Team freuen.“ Ob Frauen oder Männer: Am 5. Januar sind alle am Thema Interessierten zum Infotag in die Stadtmission eingeladen (siehe Infokasten). „Wir freuen uns über jeden, der unser Team vielleicht noch verstärken möchte“, sagt Leiterin Anette Carstens.