1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Magdeburg
  6. >
  7. Magdeburger putzen gegen das Vergessen

Stolpersteine Magdeburger putzen gegen das Vergessen

Ein besonderes Zeichen des Gedenkens setzen Schulen in Magdeburg. Sie putzen mehr als zwei Drittel der Stolpersteine stadtweit.

Von Sylvia Farnbacher 18.01.2018, 23:01

Magdeburg l Es ist kalt an jenem Tag in Magdeburg, nur ein paar Grad über dem Gefrierpunkt. Der Himmel ist grau und ein eisiger Wind weht. Kein Wetter, bei dem man sich gerne draußen aufhält.

Die Schüler der Evangelischen Grundschule Magdeburg sehen das anders. Ganz nach dem Motto „Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur falsche Kleidung“ haben sie sich mit dicken Jacken, Mützen und Handschuhen ausgestattet und auf den Weg Richtung Universitätsplatz gemacht. Mit im Gepäck: Lappen, Schwämme, Reinigungsmittel und Blumen.

Mit diesem ungewöhnlichen „Lernmaterial“ wollen sie die Stolpersteine reinigen, die auf dem Gehsteig an der Walther-Rathenau-Straße, gegenüber vom Universitätsgelände, platziert sind. Sie schrubben, bis die 28 Messingplättchen wieder glänzen.

Die 28 Plättchen stehen für 28 getötete Menschen. Für sie legen die Kinder bunte Tulpen nieder und singen das jüdische Lied „Hevenu schalom alächem“ (Friede für alle). Eine Spaßveranstaltung ist das für die Grundschüler nicht, sie wissen ganz genau, was sie tun: „Hier hat die Familie Blumenfeld gelebt. Das war eine jüdische Zirkusfamilie. Wir haben heute an sie gedacht, weil sie ermordet wurden“, erzählen die Zweit, Dritt- und Viertklässler aufgeregt durcheinander. „Wir sind eine ‚Schule ohne Rassismus — Schule mit Courage‘ und haben uns gerne an dem Projekt beteiligt“, sagt die Betreuerin des Schülerparlaments, Steffi Hallak.

Der Evangelischen Grundschule haben es viele Schülerinnen und Schüler gleichgetan. Die ganze Woche schon und bis zum 19. Januar 2018 ziehen insgesamt 22 Schulen durch Magdeburg und putzen Stolpersteine. Im vergangenen Jahr nahmen bereits 19 Bildungseinrichtungen teil. „Dass wir das tolle Ergebnis der letzten Aktion noch einmal übertreffen würden, hätte ich nicht für möglich gehalten“, äußert sich dazu die stellvertretende Direktorin der Landeszentrale für politische Bildung, Cornelia Habisch. Unterstützung erhalten die Schulen zudem von Einzelpersonen und Institutionen, die sich ebenfalls zur Reinigung verpflichtet haben.

Die Aktion hängt direkt mit der Meile der Demokratie zusammen, die einen Tag später, am 20. Januar, in Magdeburg stattfindet. „Das ist ein großartiges Engagement der Schulen. Sie setzen so bewusst ein Zeichen. Im Vorfeld der Meile der Demokratie erinnern sie an die Opfer des Nationalsozialismus und stellen sich so gegen jede Form von Hass und Gewalt“, sagt Habisch.

Über 500 Stolpersteine gibt es mittlerweile in Magdeburg. Oft werden sie auf dem eiligen Weg zur Schule, zur Arbeit oder nach Hause übersehen. Selten denkt man darüber nach, welch große Bedeutung hinter den zehn Zentimeter kleinen Messingplatten steckt. Doch all die Juden sowie Roma und Sinti, Behinderte und Homosexuelle, die dem Verbrechen des Nationalsozialismus zum Opfer fielen, sollen nicht vergessen werden. Das haben sich die Schulen und freiwilligen Helfer zur Aufgabe gemacht. Denn wenn die Messingplatten, umrandet von Blumen, frisch gereinigt und auf Hochglanz poliert, einem auf dem Gehweg begegnen, stolpert man unmittelbar darüber.

Ihr Erfinder Gunter Demnig sagte dazu einmal in einem Interview mit dem SWR: „Man stolpert mit dem Kopf und mit dem Herzen.“