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Straßenname Magdeburgs Probleme mit Helmut Kohl

Der "Kanzler der Einheit" soll in Magdeburg (noch) nicht mit einem Straßennamen bedacht werden. Zur Diskussion im Stadtrat:

Von Katja Tessnow 21.08.2017, 12:49

Magdeburg l „Ich fände es gut, wenn man da noch ein, zwei Jahre drüber nachdenkt.“ SPD-Fraktionschef Jens Rösler wollte im Stadtrat Magdeburg zur Person Helmut Kohl kurz nach deren Ableben besser kein Wort sagen. Die von CDU/FDP/BfM angeregt Bennenung einer Straße, eines Platzes oder gar der geplanten neuen Elbbrücke nach dem Alt-Kanzler hält er jedoch für deutlich verfrüht.

Wigbert Schwenke (CDU) versuchte vergeblich, die Wogen zu glätten, indem er beschwor, dass auch seiner Fraktion gar nicht an einer Namensgebung schon heute oder morgen gelegen sei, sondern „zu gegebener Zeit“. Im Verlauf der Debatte meldeten sich dann auch mehr und mehr Kohl-Kritiker zu Wort.

„Ich empfinde es als eine Unsitte, kurz nach dem Tod eines Menschen in eine solche Debatte einzutreten“, versuchte Olaf Meister (Grüne) die Pietät zu wahren, um dann doch festzustellen: „Kohl hat seine Verdienste, aber die Freiheit hat er uns nicht gebracht.“ Die hätten sich die Montagsdemonstranten der Wende-Ära ganz selbst erkämpft. „Wir müssen unsere eigene Geschichte erzählen.“

Die erzählte Meisters Fraktionskollege Alfred Westphal – selbst eine Wendebewegter und Stadtrat der ersten Stunde – dann auch gerne. „Erinnert sich hier noch einer, wie wir mit Kloß im Hals zum Domplatz gegangen sind und dort Hans-Jochen Tschiche zitternd auf einem kleinen Podium stand und das Wort erhob?“

Tschiche – Pfarrer, Friedensbewegter, Bürgerrechtler, Abgeordneter der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR (Neues Forum), Grünen-Fraktionschef und Alterspräsident des Landtages bis 1998 und 2015 verstorben – hätte es aus Sicht von Westphal viel eher als Kohl verdient, Würdigung auf einem Straßenschild in Magdeburg zu finden.

Zudem, auch das ließ Westphal nicht aus, erinnere er sich an einen zutiefst unsympathischen Helmut Kohl bei seinem ersten Besuch in Magdeburg zur Wendezeit. „Er sollte sich ins Goldene Buch eintragen und hat gesagt: Ich komme nicht in dieses scheiß Rathaus, naja, scheiß hat er wahrscheinlich nicht gesagt.“ Er, Westphal, habe daraufhin mit anderen Abgesandten der Stadt das Buch in Kohls Hotel getragen, wo dieser die Magdeburger mit keinem Wort und schon gar keinem Handschlag bedacht habe. „Der Blüm“ (Norbert Blüm – d. Red.) habe sich da ganz anders und besser benommen.

„Was hat Kohl mit Magdeburg zu tun?“, fragte Linke-Fraktionschef Oliver Müller. Sein Fraktionskollege René Hempel legte sarkastisch und mit Blick auf Kohls Ausspruch von den „blühenden Landschaften“ nach: „Vielleicht findet sich ja in Magdeburg noch irgendwo ’ne deindustrialisierte Wiese, der wir seinen Namen geben können.“

„Ich schäme mich heute ein bisschen für den Stadtrat“, gestand CDU-Mann Frank Schuster und wünschte sich von seinen Ratskollegen, „dass Sie einen Staatsmann wie Kohl mit Würde behandeln und nicht so, wie Sie es hier gerade tun“.

Mit seiner Scham stand Schuster nicht alleine da, sondern die teilten im Angesicht der Debatte auch Räte anderer Fraktionen sowie die Ratsvizechefin Beate Wübbenhorst (SPD). „Ich finde die Situation hier langsam etwas peinlich. Das ist beschämend. Den Antragstellern würde ich raten, ihren Antrag jetzt zurückzuziehen.“

Dem pflichtete SPD-Frau Kornelia Keune bei und forderte einen Abbruch der Debatte. Bevor es dazu kam, ergriff noch einmal CDU-Fraktionschef Schwenke das Wort, verhehlte nicht, dass auch er politisch dann und wann „mit Kohl auf Kriegsfuß“ gestanden habe, die laufende Ratsdebatte über ihn aber dennoch als „unwürdig“ empfinde. Frank Theile (Links für Magdeburg) versucht Vermittelndes und sagt, dass er sicher sei, dass man „für Dr. Helmut Kohl eine Lösung finden wird in der Stadt“ – irgendwann.

Schlussendlich – der Showdown, die Abstimmung zum Antrag auf die Kohl-Ehrung, den die Einbringer wider den Rat von Wübbenhorst nicht zurückzogen. Mit knapper Mehrheit und den Stimmen von SPD, Linken und der Mehrheit der Grünen-Fraktion beerdigte der Stadtrat Magdeburg zumindest vorerst das Ansinnen der Christdemokraten nach einer Ehrung für den Alt-Kanzler auf einem Straßenschild.