Erfahrungen einer Physiotherapiepraxis zeigen, woran das Gesundheitssystem immer mehr krankt Tipp eines hilflosen Arztes: "Dann gehen Sie doch erst mal ins Fitnessstudio"
Während die Krankenkassen deutschlandweit Millardenüberschüsse vermelden, wird bei Behandlungen vor Ort offenbar gespart. Diese Erfahrung machten jetzt die Freiberuflerinnen Andrea Winselmann und Christine Lorenz. In ihrer Physiotherapiepraxis gab es dramatische Einbrüche bei den Verordnungen.
Altstadt l Bis Ende 2011 liefen die Geschäfte gut. Mehr als zwei Jahre nach der Eröffnung ihrer eigenen Praxis für Physiotherapie in der Hegel-, Ecke Liebigstraße konnten sich Andrea Winselmann (47) und Christine Lorenz (37) über einen vollen Terminkalender freuen. "Wir hatten uns mit viel Mühe schon einen guten Patientenstamm aufgebaut, der Bedarf an physiotherapeutischen Leistungen ist ja auch eindeutig da", so die beiden Magdeburgerinnen.
Zum Jahreswechsel 2012 kam jedoch der unerwartete Einbruch. Die Patienten, die mit einem Rezept für Massagen, Krankengymnastik oder eine manuelle Therapie in die Praxis kommen, wurden immer weniger. Hatten die beiden ausgebildeten Physiotherapeutinnen im Vorjahr noch 20 und mehr Patienten pro Tag, schrumpfte die Zahl im ersten Quartal dieses Jahres auf eine Handvoll täglich. "Manchmal waren es sogar nur noch drei Besuche am Tag", berichtet Andrea Winselmann. In Zahlen bedeutete das für sie einen monatlichen Rückgang der Einnahmen im vierstelligen Bereich. Mit normalem Konkurrenzdruck unter den Praxen der Stadt war das nicht mehr zu erklären.
"Wir haben mit Ärzten gesprochen, die uns berichtet haben, dass sie aktuell unter besonderem Sparzwang gesetzlicher Kassen stehen", ergänzt Christine Lorenz. Hintergrund: Ein Schreiben der Kassenärztlichen Vereinigung. Angeblich sei das Gesamtbudget von verordneten Heilmitteln im alten Jahr um bis zu 30 Prozent überzogen worden, so dass nun eine "restriktive Verfahrensweise" besonders bei physiotherapeutischen Verordnungen angemahnt werde. "Dass sich Ärzte dann auch zurückhalten, wenn sie so unter Druck geraten, können wir verstehen. Letztlich sind die Patienten die Leidtragenden, die für ihre Beiträge weniger Leistungen erhalten", finden die beiden Frauen. Sie berichten von einem Betroffenen, der ihnen von einem Arztbesuch erzählte. "Der Mann hatte Rückenprobleme und sein Arzt hat ihm achselzuckend gesagt, er müsse sich wohl bis Juni gedulden. Erst dann könne er ihm ein Rezept für Massagen ausstellen", gibt Andrea Winselmann die Schilderung wieder. Bis dahin könne er ja vielleicht ins Fitnesscenter gehen ...
"Das ist schon erschreckend", finden Andrea Winselmann und Christine Lorenz, zumal ihnen längst nicht nur das Problem mit den ausbleibenden Verordnungen zu schaffen macht. Dazu kommt ein ständig wachsender Verwaltungsaufwand, der immer mehr wertvolle Zeit verschlingt. So habe, berichten die beiden Physiotherapeutinnen, eine große Krankenkasse eine erst im Vorjahr ausgesetzte Genehmigungspflicht für bestimmte Leistungen zum Januar urplötzlich wieder eingeführt. Betroffen davon sind Behandlungen wie klassische Massagetherapien, manuelle Lymphdrainagen oder Manuelle Therapien. "Auch müssen wir inzwischen bei jedem Rezept gucken, ob der Arzt sein Kreuzchen richtig gesetzt hat und die Verordnung dem Heilmittelkatalog entspricht", berichten Christine Lorenz und Andrea Winselmann kopfschüttelnd. Gesund sei das alles längst nicht mehr. "Wir ersticken in Verwaltungsarbeit und dazu kommt noch die Ungewissheit, wann vielleicht der nächste Brief kursiert", der die Ärzte in ihrer Handlungsfreiheit beschneide.
"Das gefährdet einen ganzen Berufsstand", befürchten die beiden. Sie wollen nicht mehr tatenlos zusehen und haben nun ein Schreiben verfasst, das all die Probleme auflistet. Der Brief, adressiert an den Petitionsausschuss des Landtages, soll noch in dieser Woche an dessen Vorsitzenden gehen. "Es muss sich etwas ändern", sagen Christine Lorenz und Andrea Winselmann. Sie wünschen sich außerdem, dass sich Freiberufler wie Ärzte, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden und andere an einen Tisch setzen, um gemeinsam etwas zu bewegen. "Wir würden das auch gern vermitteln", sagen sie.