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Überwachung Andrang auf Magdeburger Stasi-Archiv

Interview mit Jörg Stoye von der Magdeburger Außenstelle des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU).

Von Marco Papritz 06.03.2017, 00:01

Herr Stoye, warum entscheiden sich Menschen über 25 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands dazu, nun die Unterlagen, die über sie gesammelt wurden, einzusehen?

Jörg Stoye: Es gibt viele Gründe, die eigene Stasi-Akte einsehen zu wollen. Auch wenn niemand begründen muss, warum er das möchte, liegen einem Antrag manchmal sehr ausführliche, sehr persönliche Schreiben bei. Zudem führen meine Mitarbeiter hier eine Vielzahl von Beratungs- gesprächen. Daher wissen wir, dass es den in der DDR politisch Verfolgten darum geht, die Hintergründe ihrer Überwachung, Haft oder beruflicher Benachteiligung zu erfahren.

Welche Rolle spielt die Verarbeitung?

Diese Menschen sind oft bis heute von der damaligen staatlichen Unterdrückung geprägt. Nicht eben selten können sie sich erst jetzt dem Thema stellen. Daneben gibt es eine Vielzahl von Antragstellenden, die keiner direkten Verfolgung unterlagen bzw. keine Überwachung wahrgenommen haben. Aber durch den öffentlichen Umgang mit dem Thema, beispielsweise in der Politik oder in den Medien, wächst auch das Wissen über die damaligen Möglichkeiten der Stasi, Einfluss auf das Lebensschicksal Einzelner zu nehmen. Im Auftrag der regierenden Partei, der SED, war die politische Geheimpolizei vielerorts präsent, nicht nur unter vermeintlichen Staatsfeinden.

Nicht selten entwickelt sich die Akteneinsicht zu einem emotionalen Akt, da eben auch überraschende Dinge aus dem Privatleben aufgefrischt werden bzw. ans Tageslicht kommen können. Wie bereiten Sie die Besucher darauf vor?

Es ist gut zu verstehen, dass jemand schwer ertragen kann, aus dem persönlichen Umfeld, der Familie oder dem Freundeskreis zu erfahren, dass dort ein Handlanger der Stasi agierte. Manch einer wird daher nie in seine Stasi-Akte schauen wollen. Zu genau diesem Thema des Nicht-Wissens beginnt übrigens aktuell ein Forschungsprojekt an der Technischen Universität Dresden. Andere Menschen wiederum, und dies ist nach meiner Erfahrung gar nicht so selten, überlegen sich diesen Schritt sehr lange, sehr gründlich, führen in ihrem Umfeld viele Gespräche dazu oder suchen unsere Außenstelle auf, um sich beraten zu lassen. Wir bieten zu unseren Öffnungszeiten die ganze Woche über solche Gespräche an. In unmittelbarem Zusammenhang mit einer Akteneinsicht gibt es ein ausführliches Vorgespräch.

Welche weiteren Hilfestellungen sind möglich?

Auch nach der Akteneinsicht bleibt Zeit, Fragen zu stellen. Wir geben auch Hinweise auf die DDR-Aktenlage in anderen Archiven. Zudem erläutern wir die Möglichkeiten der Unterstützung durch die Beauftragte des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Wer kann einen Antrag auf Akteneinsicht stellen und was ist dafür nötig?

Jeder kann einen Antrag stellen, seine eigene Stasi-Akte zu sehen. Notwendig ist nur eine Identitätsbescheinigung, um Missbrauch auszuschließen, und die Angabe der Wohnorte bis 1989, um im Archiv richtig recherchieren zu können. Das entsprechende Formular ist übersichtlich auf einer Seite auszufüllen. Nahe Angehörige können auch zur Akte von Verstorbenen oder Vermissten nachfragen. Hier muss der Antrag allerdings dann begründet werden. Auch einige Belege sind zusätzlich erforderlich. Hierzu beraten wir gerne auf Anfrage, auch zum Personenkreis, der laut Stasi-Unterlagen-Gesetz als „naher Angehöriger“ gilt. Für beide Antragsarten gilt: Was eingesehen wird, kann auch in Kopie herausgegeben werden. Bei Bedarf übersenden wir die Kopie auch ohne vorherige Akteneinsicht.

 

Wann empfiehlt es sich, einen erneuten Antrag auf Einsicht zu stellen?

Das kann von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sein. Es ist durchaus möglich, dass mit einem größeren Abstand von vielleicht fünf oder zehn Jahren weitere Unterlagen zur Verfügung stehen. Ein solcher weiterer Antrag kann formlos gestellt werden, muss aber unterschrieben sein.

Welche Begegnung ist Ihnen in all den Jahren als Leiter der Außenstelle in besonderer Erinnerung geblieben?

Zu solchen Begegnungen gehören für mich sicherlich die Veranstaltungen bei uns mit einstigen politischen Häftlingen der Stasi-Untersuchungshaftanstalt Magdeburg-Moritzplatz. Diese Zeitzeugen vermitteln Schülern und Interessierten bis heute engagiert und mitunter auch emotional sehr eindrücklich ihr Schicksal in der DDR. Sie stehen beispielhaft dafür, was es heißt, in einem Staat gelebt zu haben, in dem keine abweichende öffentliche Meinung zugelassen wurde und in dem es keine unabhängige Justiz gab.