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Handwerk Familienbetrieb einst mit Finte gerettet

Das Unternehmen Schrader in Oebisfelde besteht seit knapp 115 Jahren. Meister Wilhelm Schrader erhielt nun den Goldenen Meisterbrief.

Von Harald Schulz 24.07.2020, 22:00

Oebisfelde l Innovativ und auf dem handwerklichen Stand der Zeit, so führt Eike Schrader den Familienbetrieb im 115. Jahr des Bestehens. Wichtige Stütze ist Ehefrau Petra, die viele Dinge des Oebisfelder Fachbetriebs für Heizung und Sanitär an der Gardelegener Straße im Blick behält.

Der familiäre Zusammenhalt ist für das Familienunternehmen Schrader seit jeher einer der Erfolgsgaranten. Dieses Erfolgsrezept beherzigten auch Wilhelm und Anneliese Schrader. Sie bestanden gemeinsam als junges Paar eine schwere Zeit, als den Eltern und Geschwistern von Anneliese Schrader bei Gehrendorf die Flucht aus der DDR gelang. In wenigen Tagen nun feiern Wilhelm und Anneliese Schrader das Fest der diamantenen Hochzeit.

Der Handwerksbetrieb Schrader wurde im Jahre 1904 von Carl Schrader gegründet. Er warb mit einem Inserat am 14. April 1904 im damaligen Generalanzeiger: „Dem verehrten Publikum von Kaltendorf, Oebisfelde und Umgebung die ergebene Mitteilung, dass ich in Kaltendorf eine Schlosserei eröffnet habe.“ Der Handwerksmeister und sein Bruder Wilhelm setzten aber nicht allein auf das Schlosserhandwerk. Carl verkaufte sehr erfolgreich Nähmaschinen, fuhr übers Land, gab Nähkurse und verkaufte Fahrräder gemeinsam mit Schwester Luise Schrader, geborene Allecke.

Bereits kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs führte Carl Schrader, der Sohn des Gründers, den Familienbetrieb weiter. Dessen Bruder Wilhelm war aus der Gefangenschaft nicht zurückgekehrt. Jahre später erfuhr Wilhelm Schrader, dass sein Vater im November 1945 als Kriegsgefangener in Griechenland gestorben war.

Carl Schrader eröffnete im Jahre 1947 den elterlichen Betrieb wieder, nahm sich auch seines Enkelsohnes Wilhelm an. Ihn bildete er zum Schlosser aus. Geld verdient wurde seit 1930 schon mit dem Heizungsbau und Brunnenbohren. Auch Schleusenantriebe für Stauwerke im Drömling waren eine gute Einnahmequelle. Wilhelm Schrader erinnert sich sehr genau daran, wie er oft nach der Schule Bolzen für diese Antriebe auf einer Drehbank herstellen musste. Sein Gesellenstück als Abschluss seiner auf zweieinhalb Jahre verkürzten Lehrzeit wurde dann ein Hoftor-Kastenschloss.

Heute kann er nur darüber schmunzeln, damals empfand Wilhelm Schrader die Zugfahrten nach Magdeburg zum Schlossermeister-Lehrgang als Tortur. Die Meisterprüfung sollte im Jahre 1959 dann aber auf Anhieb mit Bravour gelingen. Das Meisterstück war eine zu damaliger Zeit selbst seinem Prüfungsmeister unbekannte Rohrbiegemaschine, die Schrader mit Hydraulikraft betrieb. Wilhelm Schrader war ein Tüftler, der gern neue handwerkliche Möglichkeiten ausprobierte. So war auch sein Meisterstück für das Heizungsbauer-Handwerk im Jahr 1970 ein besonderes: Gemeinsam mit einem Lehrgangsschüler gelang es, eine Heizungsspirale für Herde in Handarbeit auf den Millimeter exakt herzustellen.

„Eine Herstellung, die heutzutage durch Computertechnik präzise ausgeführt wird, haben wir mit Geduld, viel Schweiß und feinmotorischer Fertigkeit passgenau hinbekommen“, erinnert sich Schrader mit sichtbarem Stolz. Als Schrader im Jahre 1958 den Betrieb übernehmen wollte, wurde ihm zunächst keine Gewerbegenehmigung erteilt. Der Betrieb sollte nach Willen des Staatsapparates eine Produktionsgenossenschaft des Handwerks werden. Wilhelm Schrader nutze die Gunst der Stunde und überredete einen Verantwortlichen für die Vergabe der Zulassung, als der seinen Chef vertrat. Eine Finte, die Schrader bis zum heutigen Tag gern erzählt. Schraders innere Einstellung, damals wie heute: „Ich lass’ mich nicht verbiegen“.

Der Fachbetrieb Schrader hat zu DDR-Zeiten nie mehr als zehn Mitarbeiter beschäftigt. Das hatte steuerliche Gründe, erläutert Schrader. Privatunternehmer, die mehr Personen eingestellt hatten, mussten einen ganzen Batzen Steuern mehr zahlen. Aber den Mitarbeiterstand zu halten, war damals nicht leicht. Die Deutsche Reichsbahn zahlte nach geltenden Einheitslohngruppen deutlich mehr. Aber der private Betrieb blieb ein attraktiver Arbeitgeber, meinte Schrader, ohne weiter zu erläutern.

Nach der deutschen Wiedervereinigung erlebte auch der Familienbetrieb im wahrsten Sinne des Wortes eine Wende. Waren die Kunden von Wilhelm Schrader und dem in seinen Fußstapfen folgenden Sohn Eike doch überschaubar und vor allem in Richtung Westen begrenzt, so galt es nun, sich den neuen Möglichkeiten in Sachen Klimatechnik anzupassen, um auf dem freien Markt vorn mit dabei zu sein. Gemeinsam schafften es die Schraders nach 1989. Sie ließen ihre Probleme mit den vollen Auftragsbüchern, aber fehlenden Materialien hinter sich und machten sich einen Namen mit individuellen Lösungen für Bad, Heizungs- und Lüftungstechnik sowie für die Solarnutzung.

Und auch das gehört zum Schaffen von Wilhelm Schrader: Bis heute ist der Oebisfelder eine Institution in der Allerstadt. Ihm ist es zu verdanken, dass die in DDR-Zeiten heruntergekommene Nicolaikirche wieder zu einem Schmuckstück und zu einer Kulturkirche wurde. Für seine besonderen Verdienste konnte sich Wilhelm Schrader im Jahre 2014 in das Goldene Buch der Stadt eintragen.