1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Oebisfelde
  6. >
  7. Wenn gute Worte nicht reichen

Selbstverteidigung Wenn gute Worte nicht reichen

Die Gefahr, Opfer eines verbalen wie körperlichen Angriffs zu werden, steigt bundesweit insbesondere bei Jugendlichen an.

Von Harald Schulz 06.04.2019, 06:00

Oebisfelde l Einer von mehreren Gründen, weshalb in der Jugendbegegnungsstätte ein zweitägiger Kurs in Selbstverteidigung veranstaltet wurde. Eine solche körperliche Attacke gegen ein Mädchen aus dem näheren Bekanntenkreis von täglichen Besuchern der Oebisfelder Jugendbegegnungsstätte (JBS) an der Klötzer Straße gab einen weiteren Impuls für das Betreuerinnen-Duo Maria Bade und Nicole Lange, ein Angebot in Sachen Selbstverteidigung anzubieten. Als Trainer und Ratgeber holte sich das Duo den erfahrenen Kampfsportler Frank Lamprecht vom Verein Goshin-Jutsu-No-Michi, der in Oebisfelde verschiedene Kampfsportarten anbietet. Er informierte und leitete die Kursteilnehmer aus ehrenamtlichem Interesse.

Was Lamprecht gleich zu Beginn der beiden Kurstage bedauerte, waren die mangelnde Ernsthaftigkeit und die Ausdauer, die er bei den Teilnehmerinnen bemerkte. „Immerhin habe ich versucht, den jungen Damen zu verdeutlichen, in welch ernster Lage sie sich befinden, wenn ein Angreifer kein Zurück mehr kennt und mit all seiner Gewaltbereitschaft kompromisslos attackiert“, erklärte der einstige Judo-Spitzenathlet.

Doch Gewalt beginnt im Grunde nie mit körperlichen Übergriffen. Jemanden sozusagen kleinzukriegen, was besonders bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zutrifft, beginnt oft mit unmissverständlichen Blicken, Beleidigungen, Wegnahme von Wertgegenständen oder auch Ausschluss aus einer Gemeinschaft, weiß Lamprecht aus zig Berichten von jungen Opfern und Augenzeugen.

Trifft diese Gewalt dabei ein Mädchen, gerät es in dieser gesamten Situation sehr schnell in die Opferrolle. „Aber genau diese Situation gilt es zu vermeiden“, betont Lamprecht. Eine unmissverständliche Abwehrbewegung, gepaart mit einer eindeutigen und lautstarken Ansprache, kann Respekt verschaffen. Bei offensichtlicher Übermacht der attackierenden Person helfen laute Hilferufe und das Aufsuchen von belebten Plätzen. „Sollte sich herausstellen, dass die als gefährlich eingestufte Situation gar keine ist, dann gibt es immer noch die Möglichkeit einer Entschuldigung. Allemal besser, als psychische Pein oder körperliches Leid hinnehmen zu müssen“, so sein Rat. Ein deeskalierendes Verhalten ist immer besser, als eine Konfrontation zu suchen. Nun gibt es Situationen, bei denen „gute Worte und Warnungen“ nicht hilfreich sind. Gerade bei Mädchen bis ins Teenageralter hinein ist die Sichtweise auf das Ausmaß, das solch ein körperlicher Übergriff zur Folge haben kann, nicht so ausgeprägt. Lamprecht’s Tipp lautet deshalb, stets mit Abstand zum Angreifer agieren. Allein durch das Zurückweichen um eine Schrittlänge kann ein geschicktes Ausweichen eines Faustschlages erreicht werden. Der Angreifer kann dann sogar mit gezielter Arm- und Beintechnik aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Dadurch gewinnt das vermeintliche Opfer entscheidende Sekunden für eine Flucht oder gar einen Angriff, der den Angreifer zur Aufgabe zwingt. Wie solch eine Attacke abgewehrt werden kann, übten Lamprecht und zwei von seinen Nachwuchssportlerinnen gemeinsam mit den JBS-Jugendlichen. „Wenngleich die Ernsthaftigkeit verständlicherweise bei den untrainierten Mädchen fehlte, so bleibt bei ihnen haften, dass sie im Fall der Fälle immer eine Wahl haben. Sie können sich auf die verschiedenste Art und Weise zur Wehr setzen. Das war mir wichtig“, resümierte der Profi in Sachen Selbstverteidigung.

Sich wehren, ist immer eine Kopfsache, zugleich eine hohe Anforderung an Kondition und Koordination des Körpers, hieß es von Lamprecht. Aber gerade die Kondition, also das Durchhalten einer Anstrengung, vermisst Lamprecht auch bei Trainingseinheiten mit Jugendlichen im Verein. „Der Weg hin zu einer wehrhaften Person ist immer beschwerlich. Das erfordert Willen und den Einsatz der eigenen Energiereserven. Aber genau diese Stärken sind nur allzu häufig bei Jungen wie Mädchen schnell aufgebraucht. Die Euphorie wechselt dann hin zum Desinteresse. Schaffen die Jugendlichen die ersten sechs Monate beim Training, dann erleben sie Erfolgsmomente, die sie durch eigenen Elan erreicht haben. Die meisten von ihnen bleiben dabei“, so die Sichtweise von Lamprecht.

Zufrieden mit diesem Crashkurs in Sachen Selbstverteidigung waren hingegen die JBS-Betreuerinnen, die selbst an dem Kurs aktiv teilnahmen. Auch wenn die Puste bei uns schon manchmal knapp wurde, die Übungsstunden haben den Mädchen und uns aufgezeigt, was gegen verbale und körperliche Gewalt getan werden kann“, resümierte Bade.

„Es war für die Teilnehmer sicherlich eine einmalige Erfahrung, unter solch professioneller Anleitung zu trainieren. Wenngleich auch unsere Kondition nicht die beste war“, meinte Lange. „Doch es wurde bewusst, dass auch für schwächere Mädchen durchaus Chancen bestehen, Angreifer wirkungsvoll abzuwehren.“