1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Oebisfelde
  6. >
  7. Pendel schwingt endlich frei

Stadtgespräch Pendel schwingt endlich frei

Es lag schon einigen Oebisfeldern wie der besagte Stein auf dem Herzen, dass die Zeiger der Rathausuhr ihre „eigene Zeit“ anzeigten.

Von Harald Schulz 13.09.2017, 03:00

Oebisfelde l Seit einigen Tagen lohnt sich der Blick in Richtung Turmuhr wieder. Die Anzeige von Stunde und Minute stimmt nun. Dass die Rathausuhr wieder im Gleichklang mit der mitteleuropäischen Zeitmessung harmoniert, liegt an dem ehrenamtlichen Einsatz von Heimatfreund Steffen Wetterling und dem Oebisfelder Handwerksmeister Gerhard Wartenberg. Die beiden Tüftler haben binnen zwei Tagen dem Schlagwerk des historischen Zeitmessers auf dem Dachboden des Rathauses einen dauerhaft stabilen Standplatz gegeben. Die Uhr tickt exakt.

Der ganze Ärger, besonders die zusätzlichen Mühen für einen Mitarbeiter der Verwaltung, der über Wochen versuchte, die immer wieder stehengebliebene Uhr zum Laufen zu bringen, begannen mit Erhaltungsarbeiten auf dem Dachboden, berichtet Wetterling. Das gesamte Geschoss ist sehr sanierungsbedürftig. Wer dort unterwegs ist, muss extra verlegte Laufstege aus Brettern nutzen. Aus welchen Gründen auch immer, wurde die mit dem Boden, der Dielung, fest verbundene Standauflage für das Schlagwerk des renommierten Herstellers Ernst Meyer aus Magdeburg aus dem Jahre 1892 komplett freigesägt.

Was offensichtlich dabei nicht bedacht wurde, stellte sich dann als unliebsame Tatsache heraus: Das Schlagwerk wird über ein imposantes Gewicht angetrieben, das sich in knapp zwei Metern neben dem Uhrwerk befindet und über Seile miteinander verbunden ist, erläuterten Wetterling und Wartenberg die Funktionsweise. Durch das Freistehen im Raum auf kleiner Fläche und die Zugkräfte geriet das gesamte Uhrwerk in leichte Schlagseite. Die aber genügte, um das Pendel am Holz des Umbaurahmens anecken zu lassen. Diese kleine ungewollte Manipulation durch die Zugkräfte reichte aus, um die Zeitanzeige anzuhalten.

Die Arbeitsgemeinschaft Uhrwerke des Heimatvereins hörte von dem widerwilligen Zeitmesser, der sollte aber nicht konnte, gerade als die sechs Männer die erste Turmuhr im Rathaus restaurierten (Volksstimme berichtete). Nachdem die Restauration dieser Rathausuhr abgeschlossen war, begann erneut eine Sisyphusarbeit mit Uhr Nummer zwei. „Es war Millimeterarbeit, die Standauflage und das gesamte Haltegestell mussten in Waage gebracht und exakt arretiert werden“, berichtet Wartenberg. Selbst für den erfahrenen Handwerksmeister bedeutete das eine Herausforderung. Dann galt es noch, das Antriebsgewicht, das über zwei Umlenkrollen mit dem Schlagwerk verbunden ist, so auszutarieren, dass das Pendel auch unter Zug seine Funktion frei ausüben kann.

Damit die Uhrzeit hoch oben vom Rathaus nun aber weiterhin korrekt angezeigt wird, ist es erforderlich, dass das Antriebsgewicht regelmäßig per Hand in Position gebracht wird. Wie Wetterling erklärte, „reicht solch eine aufgezogene Spannkraft für sechseinhalb Tage, garantiert nicht für eine komplette Woche“. Doch für diese Aufgabe hat die Stadtverwaltung ja ihren Mann.

Was derzeit amtlich untersagt, jedoch gern wieder betrieben werden soll, ist der Glockenklang der Rathausuhr. Aufgrund der maroden Bausubstanz muss das Geläut gestoppt werden, was nicht nur bei der Arbeitsgruppe Uhrwerke auf wenige Gegenliebe stößt.

Die Glocke hat nicht nur einen besonderen Klang, sie ist auch etwas ganz Besonderes, heißt es von Steffen Wetterling. Nach seinen Recherchen handelt es sich um eine Hindrik van Kampen-Bronzeglocke aus dem Jahre 1508. Dieses Geläut wurde in den Jahren des Zweiten Weltkrieges abtransportiert und sollte eingeschmolzen werden. Doch zu diesem letzten Schritt ist es wohl nicht gekommen, wie ein ehrenamtlicher Glockenkenner aus Letzlingen beim Inspizieren der Oebisfelder Rathausglocke im Jahre 1980 feststellte. Diese Hindrik-van-Kampen-Glocke hing wieder an ihrer angestammten Stelle, so Wetterling. Sie dürfte damit die Kriegswirren, wie auch eine Glocke der Nicolaikirche, wohlbehalten überstanden haben.