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Archäologie Unentwegt den Altvorderen auf der Spur

Seit über 50 Jahren begibt sich der Eilsleber Günter Wagener in seiner Freizeit auf die Spuren der Vergangenheit.

Von Hartmut Beyer 06.05.2019, 23:01

Eilsleben l Kreuz und quer, scheinbar ziellos, schreitet ein Mann über die Bördefelder. Weiß und grau sind Bart und Haar, er trägt grüne Gummistiefel und eine Art Öljacke. Er weiß nicht, wie viel hundert oder gar tausend Kilometer er in Feld und Flur der Börde in seinem Leben zurückgelegt hat. „Man hätte sich einen Kilometerzähler an die Hacken binden sollen“, scherzt Günter Wagener aus Eilsleben.

Was der Laie als Ackerkrume geflissentlich übersehen würde, erkennt der Raumausstatter-Meister im Ruhestand als etwas, was ein interessantes Detail der Geschichte sein könnte. In seinem Haus füllten sich so über die Jahre Kästen und Kartons mit wertlosen Schätzen: preußische Militärknöpfe, Gewehrkugeln, Verschlüsse von Bügelflaschen oder Tonscherben aus dem Mittelalter.

Spangen und Zierden sowie Rätsel aufgebende Details aus Bronze sind ihm da schon willkommener. Und die wirklich wertvollen Funde, darunter auch zahlreiche Münzen und Beschläge oder „römische Importware“ – Dinge, die dort hergestellt und hier gehandelt wurden – Schmuckstücke oder gar den zu den medizinischen Gerätschaften gehörenden Griff eines Rasiermessers mit dem Kopf eines Greifs übergab er der Obhut des Landesmuseums für Vorgeschichte Sachsen-Anhalt in Halle oder dem Börde-Museum Ummendorf.

Günter Wagener kennt sich aus in dieser Region des Bördekreises. Er weiß sogar von Orten, die es gar nicht mehr gibt. Todendorf zum Beispiel. Die kleine Siedlung mit einer Kirche existierte bis zum 14. oder 15. Jahrhundert. Ihre Mauern soll man Ende des 18. Jahrhunderts ausgegraben haben.

Wenn sich Wagener auf den Weg macht, hat er neben Sonde und Schaufel noch einen amtlichen Ausweis bei sich und die mündliche Erlaubnis der Ackerbesitzer oder -pächter. „Das schreibt uns das Feld- und Forst-Ordnungsgesetz vor.“ Zumeist sind es einsame Touren, doch der Sucher genießt das: „Kein Mensch zu sehen, ist diese Ruhe nicht herrlich?“ Gleichzeitig erinnert er sich an die Zeit, in der er als selbstständiger Sattler- und Polsterermeister, später als Raumausstatter über wenig freie Stunden verfügen konnte. „Da habe ich mich auch mal bei Vollmond auf den Weg gemacht. An das Verbellen der Rehböcke musste ich mich aber erst einmal gewöhnen, es klingt in der Nacht doch etwas schaurig.“

Das Messtischblatt ist sein Wegweiser und liefert die Koordinaten für die Angabe von Fundorten. „Als mich vor mehr als 50 Jahren Dr. Hansen, der das Ummendorfer Museum gegründet hat, ermunterte, auf der Eilsleber Vosswelle zu suchen, wusste ich noch nicht, wo sie sich befindet.“ Heute sind ihm natürlich die einträchtigsten Fundorte der Umgebung mit ihren Namen geläufig, die da lauten: Seelschen, Klein Hakenstedt, Wellendorf oder Klein Dreileben. „Zahlreiche Fundstellen haben aber sind namenlos. Es handelt sich um Siedlungen der Germanen, von denen man nicht weiß, ob sie überhaupt Namen hatten“, erklärt er. „Der Einsatz der Sonde hat auch schon Funde zum Vorschein gebracht, die belegen, dass manche Wüstung aus der Germanenzeit bereits zur Völkerwanderung besiedelt war“, ist er sich zudem sicher. Das zeigten römische Münzen oder Fibeln (Gewandklammern). Besonders die Fibeln haben es Günter Wagener angetan. Ihre Formen sind vielfältig und weisen auf ihren Ursprung hin, zum Beispiel auf Skandinavien.

„Ich finde nur das, was sie verloren haben oder vor dem Schmelztiegel liegen geblieben ist.“ Jedes Teil könnte eine Geschichte erzählen, und die würde er natürlich gerne kennen. Da geht auch schon mal die Phantasie mit ihm durch, und er stellt sich vor, wie es wäre, wenn das Universum Bilder der Geschichte reflektieren und moderne Technik diese auf der Erde einfangen könnte. „Ich glaube, dann müsste manches Geschichtsbuch umgeschrieben werden“, schmunzelt der unermüdliche Sucher.

Dass auf der Vosswelle, zwischen Eilsleben und Siegersleben gelegen, das Landesmuseum für Vorgeschichte später durch umfangreiche Grabungen Erkenntnisse gewinnen konnte über eine 7000 Jahre alte bäuerliche Siedlung bei Eilsleben, ist ebenfalls Günter Wagener und dem damaligen Leiter des Agrarmuseums Ummendorf, Heinz Nowak, zu verdanken.

Günter Wagener indes ist weiter auf der Suche nach Wüstungen, denn es hätte früher viel mehr Dörfer gegeben als heute, ist er sich sicher. „Aus Scherbenfunden führt häufig die Spur zu ihnen“, sagt er. „Ich habe auch schon einige registriert, aber die belegen noch nichts.“ Der genaue Nachweis der Fundstellen wird auf dem Messtischblatt eingetragen.

Es war vor einer der zwangsweisen Winterpausen, da alarmierte wieder einmal der Piepton des Suchgerätes alle Sinne des Hobby-Archäologen. Was er dann mit suchenden Fingern aus dem Bördeboden ans Tageslicht brachte, war weder eine Bierdose noch eine Münze oder Fibel. Erst nach einer gründlichen Reinigung im Arbeitszimmer zeigte sich, dass er eine rätselhafte Figur gefunden hatte, deren Bedeutung sich auch die Experten des Landesmuseums in Halle zunächst nicht erklären konnten. Dargestellt war ein Mann mit einem Trinkhorn aus Bronze mit Eisenkern, dem die Fröhlichkeit ins Gesicht geschrieben steht. Ist er slawischen Ursprungs, wie es von den Forschern derzeit favorisiert wird, oder brachte man ihn von den Wikingern aus dem hohen Norden mit? Günter Wagener ist gespannt, ob es darauf einmal eine klare Antwort geben wird.

Wenn die Frühlingssonne den fetten Boden der Felder etwas abgetrocknet hat, dann zieht es den Sucher wieder in die Flur. Bevor die sprießende Saat den Boden bedeckt, muss er die Tage nutzen. Und mit Sicherheit kann man damit rechnen, dass er mit einigen Funden, egal ob Fibeln, Münzen, Scherben, Beschläge oder Schmuckstücke, das Bild über Siedler und Soldaten, die sich hier einmal aufhielten, vervollständigen wird. Vollendet wird es jedoch nie sein …

Vor wenigen Monaten erfuhr Wagener für seine Tätigkeit besondere Anerkennung, erhielt er den Denkmalpreis des Landes Sachsen-Anhalt in der Kategorie Bodendenkmalpflege Einzelpreis. Vor wenigen Tagen wurde er erneut zum Vorsitzenden des Eilsleber Heimatvereins gewählt, und heute wird ihm sicher weitere Ehre zuteil, denn er begeht seinen 80. Geburtstag.