Drogen Normale Observationstage

Großstädter, die aufs Land ziehen, gibt es viele. Manche lockt die Hoffnung auf das schnelle Geld. Das zeigte sich in Ampfurth.

Von Ingmar Höfgen 27.01.2021, 23:01

Ampfurth/Berlin l Es gibt nicht wenige Berliner, die sich im Laufe ihrer Hauptstadt-Jahre ein Landidyll suchen. Sie freuen sich über entspanntere Menschen. Weniger Stress. Über weite Blicke statt Beton vor der Nase. Touren aus Berlin ins Umland sind – lässt man die aktuellen Corona-Beschränkungen beiseite – zur Regel geworden. Und so schien alles denkbar, als Zivilfahrzeuge der Berliner Polizei im März 2020 einem Renault Clio mit zwei Männern aus der Hauptstadt heraus folgten. Über die Avus, den Berliner Ring, Richtung Westen. Wie täglich Zehntausende. Inzwischen ist klar: Der Clio hatte einen früheren Landgasthof in Ampfurth zum Ziel, in dem Cannabispflanzen gediehen. Vier Berliner stehen deshalb seit November 2020 wegen bandenmäßigen Drogenhandels vor dem Landgericht Berlin. Sie schweigen zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft, für sie gilt die Unschuldsvermutung.

Die Berliner Polizisten – die eigentlich ganz andere Personen wegen Drogenhandels im Stadtbezirk Wedding observieren wollten – spekulierten nach der ersten Fahrt noch darüber, was die Männer in der Börde wollten. Angesichts der Umstände eine Plantage „nicht anzunehmen, wäre absurd“, erinnert sich einer der Observierenden vor Gericht. Aber es hätte auch „ein sanierungsbedürftiges Objekt sein können, in dem die Jungs ackern“. Ein Familientreffen habe man ausgeschlossen, ebenso einen Kindergeburtstag.

Als das Gericht mehr über solche Überwachungen erfahren wollte, sagte der Beamte: „Fahrten nach Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern sind ein normaler Observationstag.“

Kein Kindergeburtstag, stattdessen Cannabis – wer in Deutschland die in anderen Staaten zunehmend legalisierte Droge anbaut, muss mit schweren Strafen rechnen. Schließen sich drei Leute zu einer Bande zusammen und bauen die bei Plantagen regelmäßig überschrittene „nicht geringe Menge“ an, liegt die Mindeststrafe in der Regel bei fünf Jahren. Davon ging zuletzt auch das Landgericht Berlin im Fall Ampfurth aus. Im März könnte es ein Urteil geben.

Aber nicht nur im Bördedorf verbrachten Berliner Polizisten in den jüngeren Vergangenheit ihre „normalen Observationstage“. Wem sagte zum Beispiel Marke im Kreis Anhalt-Bitterfeld etwas, bevor dort im Juli 2018 eine Durchsuchung stattfand? Drei Täter aus Berlin und dem Speckgürtel wurden später zu Haftstrafen verurteilt: zwischen einem Jahr sieben Monaten für den Helfer und vier Jahren zwei Monaten für einen der Haupttäter. Letzterem soll das Grundstück in Raguhn-Jeßnitz bekannt gewesen sein, ein „weitläufiges, unbewohntes und schwer einsehbares Areal“, wie es im Urteil heißt, mit einem Wohnhaus und mehreren Lagerhallen. Ein vierter Beschuldigter erwarb es dann im Januar 2018 für 50 000 Euro. Und ab April 2018 schaute die Berliner Polizei immer wieder zu, wie dort die Anlage entstand. Auf den lukrativen, weil illegalen Markt, gelangten die Pflanzen nicht.

Zieht Sachsen-Anhalt mit seinen meist noch überschaubaren Immobilienpreisen nicht nur Erholungssuchende und Rückkehrer, sondern zunehmend auch Cannabis-Bauern aus der Hauptstadt an? Das Landeskriminalamt (LKA) Sachsen-Anhalt macht dazu keine Angaben, bei der Berliner Polizei führt man keine Statistik – man konzentriere sich auf konkrete Tathandlungen, Strukturen und Netzwerke. Die Gesamtzahl der entdeckten Plantagen spricht zumindest dafür, dass die weiche Droge in Sachsen-Anhalt gut gedeiht. Insgesamt 57 Indoor-Plantagen wurden laut LKA zwischen 2017 und 2019 in Sachsen-Anhalt entdeckt (siehe Infokasten) – statistisch gesehen ist das etwa alle 20 Tage eine.

Eine Profianlage aufzuziehen, das geht gefühlt auch vor jedermanns Augen. Es war ebenfalls das Jahr 2018, als im Zentrum Staßfurts eine Spielothek den Eigentümer wechselte. Der Käufer, eine Berliner Immobilienfirma, übernahm den Ort des vermeintlichen Glücks und ließ die Automaten weiterlaufen. Im Februar 2020 stürmte die Polizei das Haus und entdeckte in einem Hinterzimmer mehr als 2000 Setzlinge. Mindestens drei Berliner Angeklagte standen inzwischen vor Gericht, rechtskräftig sind die Urteile laut der Staatsanwaltschaft Magdeburg noch nicht: Am Amtsgericht Aschersleben bekam ein geständiger Helfer im Jui 2020 zwei Jahre auf Bewährung, das Landgericht Magdeburg verhängte im November 2020 gegen beide Inhaber der Immobilienfirma wegen bandenmäßigen Drogenhandels im minderschweren Fall zwei Jahre und sieben Monate.

Die Anlage in Staßfurt erschien dabei als Außenposten eines verschlungenen Netzwerkes. Denn zeitgleich wurden laut Europol 30 Häuser durchsucht und fünf weitere Plantagen ausgehoben, Bargeld, Handys, Pistolen und Munition im Wert von 60.000 Euro sichergestellt und 25 Mitglieder eines albanischen Drogenrings festgenommen – in Spanien, Belgien, den Niederlanden, Frankreich, Berlin, Brandenburg und eben Staßfurt. Europol hatte vor einem knappen Jahr noch mitgeteilt, dass die Polizei im belgischen Antwerpen zuerst ermittelte. Jetzt teilt die Berliner Polizei auf Nachfrage mit: „Die damals geführten Ermittlungen hatten in Berlin ihren Ursprung und richteten sich gegen mehrere Tatverdächtige.“