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Vor Gericht Cannabis-Plantage gibt Rätsel auf

In einer ehemaligen Gaststätte in Ampfurth entdeckten die Polizei im Juni 2020 eine Hanfplantage. Vier Männer stehen jetzt vor Gericht.

Von Ingmar Höfgen 04.12.2020, 07:27

Berlin/Ampfurth l Am 17. Juni 2020 wurde offenbar, was einige vielleicht schon geahnt hatten: Im altehrwürdigen Gasthof „Zur grünen Tanne“ standen Cannabispflanzen in hübscher Blüte. Rund 50 Beamte aus Berlin und Sachsen-Anhalt durchsuchten das Gebäude. Gegen die vier Männer, die damals in der Umgebung festgenommen worden waren, wird seit drei Wochen vor dem Landgericht Berlin verhandelt.

Ihnen wirft die Staatsanwaltschaft vor, gewerbs- und bandenmäßig Cannabis angebaut und verkauft zu haben. Neben einer Haftstrafe soll am Ende auch die Einziehung eines angeblichen Gewinns von rund 240 000 Euro stehen.

Eigentümer des Gasthauses war damals Martin Kl.. Der heute 61-Jährige sitzt ebenso auf der Anklagebank wie Dimitar K., Boban B. und Jamal T., alle Mitte 30. Martin Kl. ist in Oschersleben gemeldet, die anderen Drei leben in Berlin. Derzeit sitzen alle in Untersuchungshaft. Kl. hatte ein Büro im ersten Stock, das Erdgeschoss und der Keller hatte er untervermietet. Dort wurde auch die Anlage entdeckt. Laut Anklage der Staatsanwaltschaft haben K., B. und T. die Cannabis-Plantage mit den 885 gefundenen Pflanzen betrieben.

Bei der aus Berlin gesteuerten Durchsuchung des Land- gasthofes haben auch mehrere Beamte aus Sachsen-Anhalt geholfen: Eine technische Einsatzeinheit öffnete die Türen, auch die Beprobung der Funde erfolgte im Bundesland. Jetzt müssen viele peu a peu in der Hauptstadt als Zeugen aussagen – am Mittwoch war es Yves R., einer von drei Sachsen-Anhaltern. Der Beamte des Landeskriminalamtes Sachsen-Anhalt hatte im Ampfurth Proben genommen, fotografiert und die Funktionsweise der Anlage zu verstehen versucht. Der Aufbau schien ihn beeindruckt zu haben. „Das hatten wir auch noch nicht gesehen“, sagte R..

Wer auch immer die Konstrukteure waren, sie hatten ein modernes und abgeschirmtes System ausgeklügelt. In zwei Erdgeschoss-Räumen wurden die Pflanzen gezogen, Wände und Fenster waren komplett mit silbernem Papier „tapeziert“. In etwa einem Meter Höhe hing ein Netz, einige der Blütenstände waren schon so hoch gewachsen. Normal begehbar war die Anlage nicht, sagte R.. Die Bewässerung erfolgte aus dem Keller aus zwei Pools, von denen erst größere und dann kleinere Leitungen zu den Cannabis-Pflanzen gelegt waren. Dort standen auch mehrere Düngemittel-Behälter.

Rund 50 Hochleistungslampen spendeten das nötige Licht für das Wachstum, 30 Ventilatoren und fünf Klimageräte sorgten für die passende Atmosphäre. Besonders die Beleuchtung war für R. neu. Statt der bisher bekannten Natriumdampflampen kamen in Ampfurth 1000-Watt-Lampen zum Einsatz. R. bezeichnete das Equipment als neu und hochwertig.

Einiges zur Funktionsweise konnte der LKA-Beamte nur vermuten – aber wenn es tatsächlich so lief, wie es aus den Fragen des Gerichts immer wieder durchklang, dann könnte im kleinen Oscherslebener Ortsteil in Sachen Cannabisanbau bereits die Digitalisierung angekommen gewesen sein.

„Ich weiß, dass man das System per App steuern kann, aber ob das passiert ist, weiß ich nicht“, fasste R. das Ergebnis seiner Recherchen nach der Durchsuchung zusammen. An den Decken der Pflanzräume befanden sich Schläuche. Ob darin für das Wachstum hilfreiches Kohlendioxid (CO2) transportiert und durch kleine Löcher in den Raum geblasen wurde, konnte R. nur vermuten. Düngemittel-Behälter und CO2-Flaschen fanden sich einige.

Die Beamten aus Sachsen-Anhalt waren aber nicht die einzigen, die die Anlage begutachteten. Auch ihre Berliner Kollegen erstellten eine Dokumentation. Der Verfasser des Berliner Berichts konnte ebenfalls nicht alle Fragen beantworten, obwohl er länger geblieben war und mehr herausfand. So blieb offen, wie das Abluftsystem funktionierte und warum es in den Räumen nicht verdächtig roch.

Große Fagezeichen hinterließ am Mittwoch der Umstand, dass rund 800 gefüllte Pflanztöpfe schnell zur lokalen Müllhalde verbracht und nicht nach Berlin abtransportiert wurden. Sie sollen zu einer vorherigen erfolgreichen Cannabis-Ernterunde der vier Angeklagten gehört haben. Die Berliner Beamten fanden sie in einem versteckten Raum, nachdem das Silberpapier von den Wänden entfernt worden war. In der Anklage rechnet die Staatsanwaltschaft zu diesem zweiten, schwerer wiegenden Vorwurf so: 800 geerntete Pflanzen ergeben 24 Kilogramm Gesamttrockengewicht und einen Verkäufserlös von 240 000 Euro. Diese Summe sollen die Angeklagten an den Staat bezahlen. Dass sich in den Töpfen überhaupt Reste von Cannabis-Pflanzen befanden, hatte allerdings wohl niemand positiv festgestellt.

Bis zum 18. Januar 2021 sind noch sechs Verhandlungstage angesetzt. Weiter geht es am 10. Dezember 2020.