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Corona Landwirte spüren die Folgen

Der landwirtschaftliche Betrieb von Familie Thomsen in Düsedau spürt die Folgen der Pandemie-Maßnahmen.

Von Astrid Mathis 07.04.2020, 01:01

Düsedau l „Geschlossene Restaurants – das heißt für uns: Wir werden die Bullen nicht los“, Constanze Thomsen spricht Klartext. „Da die Gastwirte kein Fleisch brauchen, kaufen die Mäster uns die männlichen Kälber nicht ab, denn für wen sollen sie Rinder mästen? Sie werden ja ihre Bullen auch genausowenig los. Das wirkt sich wiederum auf die Mutterkühe aus, denen die Kälber noch um die Beine streichen, obwohl sie wieder Nachwuchs bekommen.“ Und ob der Export der Färsen ins Ausland in diesem Jahr oder später stattfindet, ist fraglich. Die Konsequenz: Die Färsen, die normalerweise nach Russland, Marokko oder in die Ukraine verkauft werden, wenn sie etwa zwei Monate tragend sind, kalben – ihr Wert sinkt um 60 Prozent. Nicht nur, dass sie den Betrieb, Futtergeld, Pflege, Versicherung und so weiter kosten. Constanze Thomsen erklärt das so: „Wir haben ja die Milchproduktion aufgegeben, und wenn die Färsen kalben und nicht gemolken werden, kommen sie nur noch als Schlachtkühe in Frage, weil man Kühe nicht stehen lassen und vier Wochen später wieder mit Melken anfangen kann. Sie geben keine Milch mehr.“ Darüber hinaus sind die Schlachtpreise gesunken.

Und noch ein anderer Punkt belastet die Landwirte. Alle tierhaltenden Betriebe. Nach zwei Dürrejahren und Verlusten im Ackerbau dürfte kein weiteres dieser Art folgen. Die Futterreserven sind aufgebraucht. Die Kälber, die Thomsens nun nicht verkaufen können, müssen sie absetzen und selber mästen. Das bringt Platz- und Futterkalkulation gehörig durcheinander.

Constanze Thomsen sorgt sich nicht nur um den eigenen Betrieb. Im Freundes- und Bekanntenkreis hat sie viele Selbstständige mit Existenzängsten. Leute auf dem Bau, die entlassen werden, dass Pferdebesitzer nur mit Passierschein zu ihrem Verein kommen können, Mütter, die arbeiten gehen und danach noch drei Stunden mit dem Kind Schulstoff bewältigen sollen. Viele können nachts nicht mehr schlafen. Großeltern trauen sich nicht mehr, ihre Enkel zu sehen. All das beschäftigt sie. „Das Recht auf Eigenverantwortung wird ausgereizt“, steht für die Mutter dreier Kinder fest, „und was noch schlimmer ist, die emo­tionale Vereinsamung wird provoziert.“

So wollte sie einen Imkerlehrgang für die geplante Bienenweide besuchen. Abgesagt. Mit Freunden grillen – abgesagt. Die regelmäßigen Stunden mit den Bewohnern der Lebenshilfe im Rahmen des Projektes „Leben mit der Natur und den Tieren“ finden vorläufig nicht mehr statt. „Wir haben uns so darüber gefreut, dass uns die UN-Dekade ,Biologische Vielfalt‘ im Januar aufgrund des Volksstimme-Artikels vorgeschlagen hat, uns an dem entsprechenden Wettbewerb namens Soziale Natur zu bewerben“, erzählt die Projektleiterin stolz, „und jetzt sind alle traurig, dass sie nicht mehr zu den Tieren und in der Landwirtschaft helfen können.“ Natürlich fallen außerdem Führungen für Schulklassen aus. Soziale Kontakte.

Zur Seite stehen Constanze und Ehemann Jochen zur Zeit vor allem die Kinder. Die 22-jährige Tochter Carola war im Dezember aus einem glücklichen Auslandssemester in Großbritannien zurückgekehrt. Im Januar hatte sie an der Universität in Groningen (Niederlande) ihr Studium (International Business) fortgesetzt. Vor zwei Wochen wurde die Altmärkerin nach Hause geschickt. Das komplette Sommersemester ist am Freitag, dem 20. März, auf Online-Seminare ausgelegt worden. Hausarbeiten und Besuche im virtuellen Klassenzimmer werden in den nächsten Monaten in der Heimat ihren Alltag bestimmen, Prüfungen inklusive. Im Sommer will sie ihren Bachelor machen. Zwischendurch geht’s an die frische Luft.

Ihr 20-jähriger Bruder Julian wird sich da öfter aufhalten. Im 3. Lehrjahr in seiner Ausbildung zum Landwirt packt er im elterlichen Betrieb kräftig mit an. Im Herbst will er ein landwirtschaftliches Studium in Neubrandenburg oder Bernburg beginnen, doch vorher braucht er ein Zeugnis. „Hoffentlich kann ich meine Abschlussprüfung im Juni machen und Mitte September anfangen. Ich will nicht in der Luft hängen“, sagt er.

„Mitte August möchte ich nach Japan. Ich habe mich für die Expertenkonferenz an der Uni in Osaka beworben“, erzählt Carola Thomsen. „Meine Universität hat seit vier oder fünf Jahren ein Austauschprogramm mit Japan. Hoffentlich kann es stattfinden.“

Am entspanntesten ist der Jüngste. Jan-Hendrik besucht die 9. Klasse des Markgraf-Albrecht-Gymnasiums. Die Schulaufgaben findet er auf der Internetseite der Schule, und für Kontakt zu seinen Mitschülern gibt es ja Handys. Wenn die anderen draußen sind, zieht es auch den 14-Jährigen zur Landwirtschaft. „Er ist Teil des Teams und lernt hier fürs Leben“, bemerkt Vater Jochen schmunzelnd, „jedenfalls vergammelt er die Zeit nicht.“

So einfach sei das Erledigen der Schulaufgaben für Eltern und Schüler nicht, gibt Constanze Thomsen zu bedenken. „Ich brauche den Computer für meine Arbeit. Wenn Jan-Hendrik ihn zeitgleich braucht und wir hätten keinen Ersatz, hätten wir ein Problem“, bemerkt sie.

Allerdings: Noch nie habe die zertifizierte Ernährungsberaterin die Kinder so leicht zu gesundem Essen bewegen können. Die Stärkung des Immunsystems im Kampf gegen das Virus bringt neben Keksen auch gern Obst auf den Kaffeetisch. Mal ein positiver Nebeneffekt in dieser Zeit.

Die Maßnahmen greifen noch ganz anders in das Familienleben ein. „Jochens Schwester hat an der Ostsee Ferienwohnungen, alles neu gemacht, viel investiert, und jetzt darf keiner kommen! Wir könnten nicht mal zu ihnen, wenn wir wollten. Natürlich ist das für sie ein finanzieller Einbruch. Ich sehe das alles skeptisch und frage mich, wie lange die Bevölkerung die Einschränkungen noch mitmacht. Wir sind ja von Berufs wegen schon sowieso kaum unterwegs. Insofern trifft uns die Quarantäne persönlich minimal, da wir im Betrieb arbeiten.“

Constanze Thomsen lächelt kurz. Trotz Sorgen. Beim Einkaufen verschenkte sie neulich Smileys, lachende Gesichter auf gelbem Papier. Wer es nicht für sich selbst nahm, konnte es ja an jemanden weitergeben, der ein Lächeln nötiger hat. An die Kassiererin zum Beispiel. Die Düsedauerin will gute Laune verbreiten gegen die Angst. Die Geste zählt. Zum Dank desinfizierte eine Frau ihren Einkaufswagen gleich mit.