1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Osterburg
  6. >
  7. Altmärkerinnen zeigen Flagge

Friedenslauf Altmärkerinnen zeigen Flagge

Vier Neuntklässlerinnen aus dem Osterburger Gymnasium haben sich in Wielun an einem Friedenslauf beteiligt.

Von Jana Henning 05.09.2016, 23:01

Wielun l „Das war das Größte, was ich je erlebt habe“, sprudelt es aus Luisa Radotzki heraus, um danach abrupt inne zu halten. Ein kurzer Satz, mehr ging einfach noch nicht. Sofort ist die 14-Jährige wieder in Gedanken versunken; sucht danach, ihnen Ausdruck zu verleihen. Vergebens. Zu frisch sind die Erinnerungen des in Wanzer lebenden Mädchens an die zurückliegende Nacht. Eine, „die ich nie vergessen werde“, findet auch ihre Seehäuser Mitschülerin und Freundin Indira Heidenreich aus der 9a des Osterburger Markgraf-Albrecht-Gymnasiums (MAG) eher wenige Worte angesichts der „extremen Erlebnisse“. Wenige vielleicht. Doch solche mit viel Wirkung.

Nicht vergessen und gemeinsames Erinnern. Genau darum gehe es bei dem etwa 90 Kilometer langen Friedenslauf vom Flughafen in Opole (Oppeln) nach Wielun, der langjährigen Partnerstadt Osterburgs im Südwesten Polens zwischen Breslau und Katowice. Das betonte Wieluns Bürgermeister Pawel Okrasa bei seiner kurzen Eröffnungsrede am späten Nachmittag des 31. August vor dem heutigen Hangar für Freizeitsegelflieger. Oppeln und Wielun: zwei Orte, die tief miteinander verbunden sind und zusammen traurige Berühmtheit erlangten. Erstere als Angriffsstützpunkt deutscher Kampfbomber; die andere als die am frühen Morgen des 1. September 1939 im Zweiten Weltkrieg zuerst zerstörte Stadt – noch vor der offiziellen Kriegserklärung.

Unter andächtiges Schweigen mischt sich Spannung verschiedener Art in die heiße Spätsommerluft. Auch bei Lisa-Marie Griese und Ida-Lia Salomon, die gemeinsam in der 9d am MAG lernen und sich den ersten Friedensläufern aus Osterburg mehr als bereitwillig anschlossen. Flagge zeigen für den Frieden und ein Wiedersehen mit Freunden – da ließen sich weder die Mädchen, noch die Organisatorin Undine Theiß lange bitten.

Seit drei Jahren ist die Sozial­kunde- und Russischlehrerin für den deutsch-polnischen Schüleraustausch am Gymnasium zuständig und habe keine Überzeugungsarbeit leisten müssen als der Bürgermeister der Einheitsgemeinde Nico Schulz das Angebot machte.

„Das kam alles sehr spontan zustande“, doch auf ihre Kolleginnen am Wieluner Gimnazjum (Mittelschule) sei immer Verlass. „Wir kennen uns sehr gut“, es gehe über das rein Berufliche hinaus, so Theiß. Aber eine Gastfamilie finden innerhalb von nicht einmal zwei Wochen? Kein Problem! Die Eltern von Wojtek und Kula seien sofort bereit gewesen. Schließlich habe man die Mädchen schon beim Schüleraustausch vor vier Monaten fest ins Herz geschlossen. Sie seien jederzeit willkommen und der Kontakt zwischen den Schülern sei seitdem sowieso nicht abgerissen.

Da zeigt sich eine ungezwungen entstandene Verbundenheit, um die es auch bei dem Friedenslauf gehe, sieht Nico Schulz in dem geknüpften Freundschaftsband einen wichtigen Schritt in Sachen Städtepartnerschaft getan. Für Pawel Okrasa sei es „eine ganz große Geste, vier deutsche Jugendliche beim diesjährigen Friedenslauf begrüßen zu können.“ Denn so nähmen die Mädchen aktiv an der Geschichte teil.

Mal schneller, mal langsamer…. „Auf jeden Fall halten wir durch“, spricht Ida-Lia für ihre drei Mitläuferinnen und ganz sicher auch für die 30 Mädchen und Jungen vom Wieluner Technikum (Berufsoberschule). Gegen 18 Uhr setzt sich der Tross in Bewegung, um alles zu geben und nach 90 Kilometern pünktlich um 4.40 Uhr in Wielun einzutreffen und das Gedenkfeuer am einstigen Krankenhaus und heutiger Schule zu entzünden. Genau 4.40 Uhr, als 77 Jahre zuvor die erste Bombe des Zweiten Weltkrieges fiel. Genau 4.40 Uhr als ein heutiger Appell an die Wahrung und Beachtung eines der wichtigsten Rechte des Menschen – das Recht auf ein Leben in Frieden.

Sportlich anspruchsvolle neun Kilometer pro Stunde laufen die Jugendlichen. Lisa-Marie, Ida-Lia, Luisa und Indira bewältigen insgesamt vier Etappen der Gruppenstaffel zu je zwei Kilometern und sind zu Recht stolz. An Schlaf sei in der Zwischenzeit in dem hinter den Läufern herfahrenden Reisebus nicht zu denken gewesen. „Das war viel zu aufregend“, zeigen sich bei Luisa nach der durchgemachten Nacht dann aber doch langsam Zeichen der Müdigkeit. Ergriffen verfolgen sie das Entzünden des Gedenkfeuers, würdige Reden, ein schonungslos an die Schrecken des Krieges erinnerndes Theaterstück sowie die Kranzniederlegungen.

Heute möchte man sich auch verstanden wissen als „Stadt des Friedens und der Versöhnung“, so Elsbieta Kalinska. Seit einem Jahr leitet sie als Direktorin die Geschicke des Wieluner Kulturhauses und zeichnet mitverantwortlich für das sich anschließende Tages- und Abendprogramm aus Diskussion, Heiliger Messe, Chormusik und eindruckvoller Folklore auf großer Bühne. Apropos Bühne: Für 2017 plant Kalinska ein deutsch-polnisches Theaterstück, das in einem Schüleraustausch in der Woche vor dem 1. September einstudiert werden könne. „Da machen wir mit“, sind sich die vier jungen Altmärkerinnen einig; erst einmal freuen sie sich nun aber auf den anstehenden Gegenbesuch polnischer Schüler in Osterburg.