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Jüdisches Leben Schüler setzen Spurensuche fort

Bei ihrer Suche nach Spuren jüdischen Lebens in Osterburg greifen Gymnasiasten auch auf die Unterstützung des Kreismuseums zurück.

Von Nico Maß 20.01.2017, 00:01

Osterburg l Die Gründergeneration der Projektgruppe „Schule ohne Rassismus“ hat das Gymnasium hinter sich gelassen. Nun helfen sechs Siebentklässler mit, dem Ehrennamen ihrer Schule Inhalt zu geben. Dabei setzen sie auch die Bemühungen ihrer Vorgänger fort, Spuren des im Dritten Reich quasi ausgemerzten jüdischen Lebens in Osterburg ausfindig zu machen. Die Recherche der von den Lehrern Fabian Kröhnert und Michaela Steinke sowie der Sozial­pädagogin Steffi Wecke begleiteten Schüler konzentriert sich auf den Kaufmann Moritz Less und seine drei Töchter Ruth, Lieselotte und Hildegard. Die laut zeitgenössischen Unterlagen einzige jüdische Familie, die Mitte der 30er Jahre noch in Osterburg lebte, wurde im Zuge der sogenannten Reichskristallnacht aus der Stadt vertrieben. Auf Initiative der Projektgruppe setzte ihnen der Kölner Gunter Demnig im Frühherbst 2016 mit dem Verlegen von Stolpersteinen eine bleibende Erinnerung. Den Schlusspunkt unter die Spurensuche bedeutete dies aber nicht.

So machten sich die Schüler jetzt bei Kreismuseumschef Frank Hoche mit Quellenmaterial vertraut, das weiteren Aufschluss über das Schicksal der Familie Less im Dritten Reich gibt. Dabei handelt es sich um einen Brief, den der Kaufmann im Februar 1946 an den damaligen Landrat des Kreises Osterburg richtete und mit dem er die Hoffnung verbunden haben soll, sein früheres Eigentum wiederzuerlangen.

Dieses Schrei­ben, dass die in Hamburg lebende Marlies Ritz-Ronneburger in Erinnerungen an ihre Heimatstadt Osterburg veröffentlicht hat, zeigt auf, dass Less nach der Zerstörung seines Geschäfts im Zuge der Kristallnacht in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt wurde. Da die Grundstücke und Geschäfte aus jüdischem Besitz bis zum 31. Dezember 1938 „arisiert“ werden mussten, hätten die Töchter Verkaufsverhandlungen führen müssen, die nach der Rückkehr des Kaufmanns aus dem KZ von ihm zum Abschluss gebracht wurden. „Unter dem seelischen Eindruck und der miterlebten und selbst durchgemachten Misshandlungen im KZ erfolgte damals der Verkauf des Geschäftes und des Grundstückes unter Preis“, schreibt Less, der zudem selbst für die Instandsetzung der zertrümmerten Schaufenster und Ladeneinrichtung aufkommen musste und noch dazu zur Zahlung einer „Sühneabgabe“ in Höhe von 10 000 Mark gezwungen wurde.

Während die zwei ältesten Töchter noch nach England emigrieren konnten, blieben die Auswanderungsbemühungen von Moritz Less für sich selbst und seine jüngste Tochter vergebens, „weil das Ausland die Einreise für Deutsche sperrte. Schließlich mussten ich und meine mit mir in Berlin lebende jüngste Tochter zwangsweise in Rüstungsbetrieben arbeiten. Ich verlor dabei im Januar 1943 vier Finger an der linken Hand“, schreibt Less. Und fährt fort: „Um diese Zeit setzte die rücksichtslose Judenverfolgung und deren Evakuierung ein und wir retteten uns nur dadurch, dass wir verschwanden, untertauchten, uns verborgen hielten und illegal lebten. Ersparen Sie mir zu schildern, wie wir ohne Lebensmittelkarten mehr als zwei Jahre leben mussten. Schließlich wurde meine Tochter von einer früheren arischen Mitarbeiterin erkannt und verhaftet. Sie hat die Gräuel von Auschwitz, Ravensbrück, Helmstedt-Eidelstedt miterlebt und ist, welch Wunder, gerettet worden.“

Auf seinen Brief soll Moritz Less, der sich nach dem Krieg gemeinsam mit seinen Töchtern in den Vereinigten Staaten niederließ, nie eine Antwort erhalten haben, berichtete Hoche den Schülern.

Die Mitglieder der Projektgruppe wird der Museumschef schon in Kürze wieder in seiner Einrichtung begrüßen können. Denn auf Initiative von Gymnasiallehrer Fabian Kröhnert und Mathilde Nottrott von der Hochschule Magdeburg-Stendal und dem Kreismuseum selbst ist die Biesestadt erstmalig in „Denken ohne Geländer“ eingebettet. So lautet der Titel einer Aktions­woche, die hauptsächlich in Stendal stattfindet und rund um den 27. Januar (Tag der Befreiung von Auschwitz) mit Filmen, Vorträgen, Lesungen und Theater dazu anregen möchte, miteinander zu Toleranz, Gewalt und Wegen des Miteinanders ins Gespräch zu kommen.

Bei der im Osterburger Kreismuseum angedachten Veranstaltung möchte die Museologin Antje Reichel am Freitag, 27. Januar, mit einem Bildvortrag das jüdische Leben in der Altmark in das Blickfeld rücken. Die beiden Vorträge, die um 9.30 Uhr und um 11.30 Uhr beginnen, werden Markgraf-Albrecht-Gymnasiasten verfolgen, weitere interessierte Einwohner können sich noch unter der Telefonnummer 03937/83730 im Museum anmelden.