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Selbstanzeige Wenn Argumente versagen, hilft Justitia?

Der Feldzug gegen den Eichenprozessionsspinner ist der sprichwörtliche Kampf gegen Windmühlen. Zeit für einen Strategiewechsel.

Von Ralf Franke 08.06.2018, 15:42

Seehausen l Nicht erst seit er Bürgermeister der Verbandsgemeinde Seehausen ist, aber in den vergangenen zwei Jahren ganz besonders, widmet sich Rüdiger Kloth der Bekämpfung des Eichenprozessionsspinners. Vertreter der etablierten Parteien und Spitzenbeamte von Behörden aller Verwaltungsebenen hat der Auloser schon ins Krisengebiet gelotst, mit der Sperrung des Elbe-Radweges gedroht oder angekündigt, einen Sack mit den Gespinsten der Raupen ohne natürliche Fressfeinde vor dem Magdeburger Landtag abzulegen. Abgesehen von Betroffenheitsbekundungen vor Ort bislang ohne Erfolg.

Der nord-östliche Zipfel des Landkreises Stendal hat unter der Raupenplage, derzeit einmal mehr besonders zu leiden, wie leicht zu erkennen ist, wenn man durch die Region fährt und kahlgefressene Bäume schon von weitem ein Hinweis auf den Forstschädling mit hohem Allergiepotenzial sind. Gemeinden und Landkreis sind mit dem Schädling allein überlastet. Abgesehen davon, dass die Mittel, die aus der Luft und vom Boden versprüht werden, in ihrer Wirksamkeit immer mehr schwächeln und hohe Hürden die Einsatzgebiete einschränken.

Weil man nicht so einfach tausende Eichen im Einzugsgebiet mit einem „Kulturschnitt“ kurz über dem Boden erlösen und der Falter-Brut die Nahrungsgrundlage entziehen kann, ist das Allergiepotenzial für die Betroffenen vor Ort und für Kloth der entscheidende Fakt. Land und Bund lassen bestenfalls ihre Land-, Forst- oder Naturschutzexperten zu Wort kommen. Gesundheitsbehörden sind beim Eichenprozessonsspinner in der Zuständigkeit bislang außen vor. Das haben Kloth und andere Kommunalpolitiker oft erleben müssen. Dabei sind immer mehr Leute betroffen, bei denen die Brennhaare der Raupen ekzemähnliche Symptome provozieren, die einen Arztbesuch nötig machen und so über die Hintertür doch beim Gesundheitswesen landen.

Die Wahrnehmung könnte sich jetzt allerdings etwas zugunsten der Kommunen verschieben, weil sich Rüdiger Kloth zu einem drastischen Schritt durchgerungen hat. Mittwoch erstattete der verzweifelte Verbandsgemeindebürgermeister bei den Regionalbereichsbeamten in der Polizeistation um die Ecke Anzeige. Nicht gegen irgend wen oder gegen unbekannt, sondern gegen sich selbst, weil er seine Aufgabe, die Bevölkerung vor Schaden (auch vor gesundheitlichen) zu bewahren, nicht erfüllen kann, begründet er. Der Vorwurf gegen sich selbst: Körperverletzung im Amt, wie ihn Paragraf 340 des Strafgesetzbuches (StGB) vorsieht.

Entscheidender Auslöser ist der Fall der achtjährigen Pauline Kramer aus Krüden, die die Grundschule Groß Garz besucht und dort Ende Mai die unangenehme Bekanntschaft mit den Raupenbrennhaaren machte, obwohl die Kommunen gerade in der Nähe von Schulen und Kitas trotz klammer Kassen beim Kampf gegen das Insekt nicht sparen.

Die behandelnde Kinderärztin attestierte den Eltern bei Pauline unter anderem eine sogenannte Raupendermatitis, starken Juckreiz und Brennen der Haut, Reizung von Mund- und Nasenschleimhäuten, Lippenödem, Entzündung der Augenbindehäute, Blutdruckabfall und eine allergische Schockreaktion mit Kreislaufproblemen bis zur Ohnmacht.

Was kommt als nächstes? Ein anaphylaktischer Schock? Vielleicht mit Todesfolge? Das fragt sich Rüdiger Kloth, zieht die Reißleine und hofft, dass die Staatsanwaltschaft ernsthaft ermittelt (immerhin ist das Verfahren ja auch politisch motiviert) und so vielleicht in Magdeburg ein Umdenken erfolgt. Dass der Bürgermeister schuldig gesprochen wird und (wie es das StGB vorsieht) bis zu fünf Jahre hinter Gitter muss, scheint unwahrscheinlich.

Wenn es zum Verfahren vor dem Landgericht Stendal kommt (das wäre bei Körperverletzung zuständig) würde er gern ohne Anwalt agieren, weil er genug Material gesammelt hat. Ob das Gericht seine Geschäftstüchtigkeit im juristischen Sinn anerkennt, bleibt abzuwarten. In jedem Fall dürfte der Ausgang des Verfahren spannend werden.