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Tag der Einheit Rückblick auf die Wiedervereinigung

Am Tag der Deutschen Einheit kam in Altenzaun das Thema Wiedervereinigung zur Sprache.

Von Ingo Gutsche 04.10.2020, 19:00

Altenzaun l Wolfram Tschiche sei anfangs kein Befürworter einer deutschen Wiedervereinigung gewesen. Der Theologe, Publizist und Philosoph aus der Nähe von Bismark versetzte die Teilnehmer des Seminars im Altenzauner Gutshaus rund drei Jahrzehnte zurück und plauderte über das Ende der DDR. An seiner Seite hatte er Jan Sicha, 1989 Prager Studentenführer, später Mitarbeiter im tschechischen Kulturministerium und ehemaliger Botschaftsrat.

Gastgeberin Adelheid Johanna Preß will das seit 20 Jahren in ihrem Besitz befindliche Gutshaus und dessen Saal künftig für die Veranstaltungsreihe „Altenzauner Forum für Zeitgeschichte, Literatur und Musik“ nutzen und feierte mit dem Duo Tschiche/Sicha und den Blick zurück auf die Wiedervereinigung am Sonnabend Premiere.

Wolfram Tschiche, der von dem historischen Gebäude nach eigenen Worten beeindruckt war, brachte den Besuchern die Haltung der damaligen Oppositionellen, zu denen auch er gehörte, näher. Tschiche verachtete das Machtmonopol der SED. „Das war mir im tiefsten Sinn zuwider.“ Die Legitimität eines solchen Systems, wie in der DDR, habe er infrage gestellt. „Das ist auch heute noch meine Haltung.“ Aber ein wiedervereinigtes Deutschland? Für ihn hätte es zwei persönliche Gründe gegeben, weshalb er anfangs davon nicht überzeugt war. Einerseits war es Nazi-Deutschland mit dem Weltkrieg, wie Tschiche am Sonnabend betonte. „Man hätte dafür mindestens 1000 Jahre büßen müssen und die Konsequenzen tragen müssen.“ Und eine solche Konsequenz sei die deutsche Zweistaatlichkeit gewesen. Andererseits „glaubte ich nicht, dass Nationalstaaten die Zukunft gehört“.

Das Kernanliegen der damaligen Oppositionellen hätte sich hingegen nicht in der deutsch-deutschen-Frage erschöpft, sagte Tschiche, der sich seit 1968 in der damaligen DDR in der Opposition engagierte. Da war das bereits erwähnte Machtmonopol der Partei mit ihrer Staatsideologie, dem Marxismus/Leninismus. Die Bürger verglich der 70-Jährige mit Leibeigenen in einem Freiluft-Gefängnis. „Das haben viele einfach nicht ertragen.“ Aber da war auch die Sorge um den Frieden. Auf der einen Seite standen die Pershing-Raketen aus US-amerikanischer Produktion, auf der anderen die sowjetischen Mittelstreckenraketen vom Typ „SS 20“.

Ein dritter Weltkrieg hätte Mitteleuropa völlig zerstört, so Tschiche, der von Alexander Dubcek sehr angetan war. Der tschechische Politiker war einst Leitfigur das Prager Frühlings. Dubcek hätte einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ gewollt.

In den Ausführungen von Tschiche kam auch eine andere Figur vor: Michail Gorbatschow, eine „Art Lichtgestalt“. Er hätte die wirtschaftliche Krise, in der sich die Sowjetunion befand, erkannt. Eine friedliche Revolution war das Ziel der Oppositionellen, die natürlich auch zu „Gorbi“ und auf die Sowjetunion schauten. Tschiche erinnerte sich, dass beispielsweise die Zeitschrift „Sputnik“ aus der Sowjetunion 1988 in der DDR nicht mehr erworben werden konnte. Sie wurde eingestellt. Die Verhältnisse zwischen den beiden Ländern destabilisierten sich.

Die friedliche Revolution mündete in die Grenzöffnung am 9. November 1989 und am 3. Oktober 1990 in die Wiedervereinigung. Während des Seminars kam unter anderem auch die erste Volkskammerwahl 1990 zur Sprache (siehe Info). Jan Sicha brachte seine Sichtweise näher. Er lernte damals in der Tschechoslowakei immer mehr Menschen kennen, die vom Regime als Dissidenten mit Repressalien belegt worden waren. Sicha wurde Studentenführer und führte die Studentenbewegung zum Erfolg.

Adelheid Johanna Preß möchte eine Veranstaltungsreihe im Gutshaus etablieren. Das Haus, das zu DDR-Zeiten unter anderem die LPG-Küche, Frisör, Post, natürlich auch Mietwohnungen beinhaltete, wurde 1888 errichtet. Preß möchte den Saal mit Kultur beleben.