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Vortrag Streifzug durch die jüdische Geschichte

Im Osterburger Museum hat Antje Reichel ihre Zuhörer durch die Geschichte des jüdischen Lebens in der Altmark geführt.

Von Nico Maß 28.01.2017, 00:01

Osterburg l Der Schuhhändler Moritz Less und seine Angehörigen waren nicht die einzigen jüdischen Einwohner im Osterburg der 30er Jahre. Das haben Recherchen der Museologin Antje Reichel ergeben, von denen sie am Freitag in ihrem Vortrag über das jüdische Leben in der Altmark berichtete. So lebte bis 1938 eine Else Kramer auf dem Grundstück Bahnhofstraße 11. Kurz vor der Reichskristallnacht zog die Frau, die einer seit Mitte des 19. Jahrhundert in Osterburg ansässigen Familie entstammt, zu ihrer Schwester nach Köln. Die beiden Frauen wurden von den Nazis in das Konzentrationslager Theresienstadt sowie nach Minsk deportiert und 1941/42 ermordet. „Für sie wären sicher auch Stolpersteine angebracht“, regte Reichel an. Und die Zahl könnte noch weiter anwachsen. Denn für das Jahr 1939 (zu dem Zeitpunkt lebte Else Kramer schon in Köln) gibt eine Einwohnerzählung für die Stadt Osterburg noch sechs Menschen jüdischen Glaubens an. Abgesehen von den Namen der Familie Less tauchen dabei auch eine Paula Klein sowie eine Johanna Haberfeld auf, zeigte die Museologin Ansätze für mögliche weitere Nachforschungen auf. Zudem hätten damals in Osterburg auch mehrere Einwohner mit teilweise jüdischen Vorfahren gelebt, die von den Nazis gesondert registriert und zum Beispiel als „Halbjuden“ geführt wurden. Ein prominentes Beispiel dafür ist der Rechtsanwalt Ludwig Ascher, der 1945 mit dem Einzug der US-Amerikaner zum Osterburger Bürgermeister ernannt und später nach der Machtübernahme durch die sowjetischen Streitkräfte wieder aus dem Amt befördert wurde, berichtete Antje Reichel.

Die Museologin zeigte in ihrem Vortrag auf, dass jüdische Menschen schon Jahrhunderte vor der besonders düsteren Zeit des Dritten Reiches unter Pogromen, Vertreibungen und Diskriminierungen zu leiden hatten. Die zogen sich durch die gesamte Zeit des Mittelalters. Faktisch außerhalb des damaligen Rechts gestellt und nur durch teuer erkaufte Schutzbriefe der jeweiligen Landesherren abgesichert, lebten sie in separaten Judenhöfen oder -vierteln (in Osterburg im Gebiet der Jüdenstraße). Erstmalig für Anfang des 14. Jahrhunderts in der Biesestadt erwähnt, wurden die jüdischen Einwohner im Zuge der Pest 1349 aus Osterburg vertrieben. Ähnlich wie überall in Europa waren sie für die Epidemie verantwortlich gemacht worden, „weil die vom Rest der Einwohner getrennt lebenden und andere Sitten und Gebräuche pflegenden Juden anscheinend weniger Opfer bei dieser Epidemie beklagen mussten. Das fiel auf und deshalb wurden sie als Fremde verdächtigt, die Brunnen zu vergiften“, erkärte Reichel.

Kaum waren 1509 wieder Juden in Osterburg ansässig geworden, schloss sich dieses Kapitel durch eine besonders blutige Tragödie. Denn eine Osterburger Hochzeitsgesellschaft mit 24 jüdischen Menschen wurde bezichtigt, in den Fall einer Hostienschändung verwickelt zu sein. Diese Verdächtigung führte zu einen Gerichtsprozess in Berlin und 41 Todesurteilen. Dabei wurden 39 Juden auf dem Scheiterhaufen verbrannt, die beiden übrigen, die zum christlichen Glauben konvertierten, wurden enthauptet.

Erst 146 Jahre später, 1756, ließen sich mit einem Marcus Israel und seiner Familie wieder Juden in Osterburg nieder. Mit dem Wegbrechen vieler Beschränkungen blühte die jüdische Gemeinde der Biesestadt im 19. Jahrhundert auf, 1877 wurden 44 Einwohner jüdischen Glaubens in der Biesestadt gezählt. Es gab einen Lehrer, der jüdischen Kindern die hebräische Sprache sowie die Religion vermittelte und ausgebildete Schächter für die rituellen Schlachtungen. An der heutigen Fabrikstraße bestand ein eigener Friedhof (von 1810 bis 1914), nicht zuletzt wird in historischen Quellen auch ein Gebetsraum erwähnt. Schon im ausgehenden 19. Jahrhundert ging die jüdische Bevölkerung aber zurück. Wegzüge ließen ihre Zahl erst auf zwölf Einwohner (1890) schrumpfen, 1925 und damit wenige Jahre vor der Machtergreifung der Nazis waren lediglich noch sechs Menschen jüdischen in Osterburg registriert.