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2. Weltkrieg Als Soldaten im Garten landeten

Diesen Tag im April 1945 wird die damals 13-Jährige Sigrid Haase aus Salzwedel nicht vergessen: Im Garten landet auf einmal ein Flugzeug.

Von Alexander Rekow 11.06.2020, 14:51

Salzwedel l Es war etwa einen Monat vor der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht, als die damals 13-jährige Sigrid Haase mit ihrem drei Jahre jüngeren Bruder Klaus-Jürgen aus einem Fenster ihres Elternhauses an der Ecke Karl-Gaedcke- und Gartenstraße in Salzwedel schaute. „Guck mal, Sigrid, ein Segelflieger“, freute sich ihr Bruder und zeigte in den Himmel. „Nein, habe ich ihm damals gesagt, dass hat einen Motor.“ Das Flugzeug habe sich so angehört und ausgesehen wie eine „Fieseler Fi 156 Storch“, ein Verbindungsflugzeug der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg, erinnert sich die heute 87-Jährige, „zwei größere Räder vorne und ein kleines hinten.“

Doch das Flugzeug schien nicht über das Elternhaus in Salzwedel fliegen zu wollen und verlor mächtig an Höhe. „Dann kam es runter.“ Auf der Wiese hinter ihrem Haus landete es schließlich. Die beiden Kinder trauten ihren Augen kaum. Sofort liefen sie nach unten und erzählten der Mutter, was gerade geschah. Ihr Vater war zu diesem Zeitpunkt in Gefangenschaft. „Ihr spinnt doch“, habe ihre Mutter geantwortet.

Doch da klingelte es schon an der Haustür. „Davor stand ein amerikanischer Soldat mit hohem Dienstrang.“ Mit einer Mischung aus Englisch und Deutsch machte er der Familie freundlich aber direkt klar, dass sie ihr Haus verlassen müssten. „Nicht am nächsten Tag, sondern in einer Stunde.“ Ihre Mutter konnte kaum fassen, was gerade geschah. „Die haben unser Haus beschlagnahmt.“ Also hieß es augenblicklich, das Nötigste zu packen. Auch die unmittelbaren Nachbarn mussten ihre Häuser verlassen.

Unterschlupf fanden die Mutter und ihre beiden Kinder im Wohnhaus der „Leiß-Mühle“. „Die Schwester von Herrn Leiß und meine Mutter kannten sich.“ Alle drei kamen in einem Mägde-Zimmer unter. Wenige Quadratmeter, ein Tisch, zwei Stühle und zwei Betten. „Meine Mutter teilte sich das Bett mit meinem jüngeren Bruder.“

Als die damals 13-Jährige auf die Straße ging, sah sie das Ausmaß. Denn mittlerweile waren mehr Soldaten vor Ort, als nur die Besatzung des Flugzeuges. „Da standen Jeeps und Militärfahrzeuge“, erinnert sie sich, „Die ganze Gartenstraße entlang.“ Es sei ein regelrechter „Kriegsfuhrpark“ gewesen.

Das Mädchen machte sich auf den Weg zum Elternhaus um ein paar Blicke zu erhaschen. „Die haben in unserem Garten ein riesiges Loch gegraben.“

Unweit daneben standen Lkw der Amerikaner und fahrbare Feldküchen. So langsam dämmerte ihr, was vor sich ging. „Das Loch war für Küchenabfälle“. Das Grundstück der Familie diente den Amerikanern zur Versorgung ihrer Soldaten in Salzwedel. „Unsere Garage wurde zum Lebensmittellager.“

Einige Tage später kam ein amerikanischer Soldat mit deutschen Wurzeln auf ihre Mutter zu. „Er fragte sie, ob sie nicht die Hemden waschen und bügeln könnte.“ Hildegard Buchheister willigte ein. „Das war gut für uns. Denn nun kam meine Mutter wieder in das Erdgeschoss unseres Hauses.“ So kam sie auch wieder an das Eingekochte im Keller für sich und ihre Kinder. „Außerdem steckten sie meiner Mutter Kaffee zu und mein Bruder und ich bekamen Schokolade und Kaugummis.“

 Wenig später kam der deutschstämmige Soldat wieder zu ihrer Mutter. Er erzählte Hildegard Buchheister von den Gräultaten in der Feldscheune Isenschnibbe. „Wir wussten erst gar nicht, was er meinte, aber später haben wir es dann erfahren.“ Noch heute läuft es der 87-Jährigen eiskalt den Rücken herunter, wenn sie an die furchtbaren Verbrechen der Deutschen im Zweiten Weltkrieg denkt.

Nach etwa einem Monat verschwanden die Soldaten wieder vom Grundstück. „Dann durften wir wieder rein.“ Eigentlich hätte auch alles an seinem Platz gestanden. Bis auf die Briefmarkensammlung ihres Vaters. „Die haben sie sich wohl mitgenommen.“