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Tierschutztag Abwechslung für zwei einsame Hundeseelen

Am 4. Oktober ist Welttierschutztag. Die beiden Volontäre Antonius Wollmann und Dan Tebel unternahmen einen Ausflug ins Tierheim.

Von Antonius Wollmann 01.10.2015, 03:00

Salzwedel l Wir sind skeptisch. Keiner von uns hat einen eigenen Hund, kennt kein regelmäßiges Gassi gehen und keinen hechelnden, pelzigen und treuen Kameraden auf der Couch. Und obendrein noch welche aus einem Tierheim. Gibt es dort nicht nur diese „Problemfälle“? Hunde, die beißen oder sich nicht anfassen lassen? Die unerzogenen Vierbeiner, die wie verrückt an der Leine zerren und nicht auf die einfachsten Kommandos hören wollen? Eins sei schon vorweg genommen: Dafür ein ganz klares Nein. Wir haben diese Möglichkeit wahr genommen um uns ein Bild von den Hunden zu machen, die vorerst ihr Zuhause verloren haben. Und die ganzen Klischees wollen wir zunächst auch vor den Toren des Tierheims stehen lassen.

Wir werden bereits erwartet und herzlich von Franziska und Sven Thiemann empfangen. „Die Hunde freuen sich über lange Spaziergänge“, meint die Mitarbeiterin vom Tierschutzverein Salzwedel und schaut uns erwartungsvoll an. Mit Hunden spazieren gehen? Das klingt nach erst einmal nach einem entspannten Termin. Zwischen Ratssitzungen und Eröffnungsveranstaltungen eine sehr willkommene Abwechslung im hektischen Redaktionsalltag. Tausche für einen kurzen Nachmittag Bürostuhl gegen begrünte Wiese und spätsommerlichem Sonnenschein, oder so ähnlich. Und für uns eine ganz neue Erfahrung.

Der erste Eindruck ist nicht getrübt. Ins Auge fallen zunächst die überwiegend leeren Zwinger des Tierheims. „Wir haben insgesamt 25 Plätze zur Verfügung. Momentan beherbergen wir aber nur sieben Hunde und einen Vierbeiner als Gast“, berichtet Christine Binder, die Vorsitzende des Tierschutzvereins Salzewedel. Das klingt nach einer guten Vermittlungsquote der Tiere. Über einem Balken baumeln viele Leinen und Geschirre, teilweise mit Aufschriften wie „Bodyguard“. Franziska Thiemann greift sich zielsicher das schwarze Geschirr und holt den „Bodyguard“. Wir sind gespannt, wer sich dahinter verbirgt.

Robin heißt der eine Begleiter für den Nachmittag. Sieben Jahre ist er alt, ein Terriermischling und stammt aus Rumänien. Dort fristete er ein trauriges Dasein als Straßenhund – ohne Besitzer, vollkommen auf sich allein gestellt. Vor einem Jahr holte ihn eine Tierschutzorganisation nach Deutschland. Zunächst lebte er auf einem Gnadenhof in der Nähe von Diesdorf, bevor er ins Tierheim nach Hoyersburg kam.

Trotz seiner traurigen Geschichte sprüht der Vierbeiner vor Lebensfreude. Als hätte er einen Flummi verschluckt, springt er lebhaft umher. Ausgelassen begrüßt und beschnuppert er uns neugierig und lässt sich das Fell kraulen. „Robin ist schon ein kleiner Tanzbär. Und vom Wesen her auf jeden Fall ein ganz Lieber“, berichtet Franziska Thiemann.

Allerdings hat er als Straßenhund nie eine systematische Erziehung erfahren. Auf Kommandos hört er manchmal, hin und wieder ignoriert er sie aber auch geflissentlich. In Kombination mit seinem dynamischen Temperament ist es für uns Hunde-Laien mit Sicherheit nicht die einfachste Aufgabe, ihn an der Leine zu führen.

Ähnlich aufgeweckt zur Begrüßung ist unser zweiter Gefährte. Als Sven Thiemann, der Bruder von Franziska, sich ein rotfarbenes Geschirr schnappt, ahnen wir bereits, dass wir nun unseren Nachmittag um einen weiblichen Vierbeiner ergänzen dürfen. Der Mann mit den Tätowierungen und der Sonnenbrille kommt mit der kleinen Susi um die Ecke. Sie tappst neben ihm her und reicht dem freiwilligen Helfer nicht ein mal bis zu den Knien. Die zierliche Hündin ist erst sieben Monate alt und steckt voller Elan. Der Border-Collie-Dackel-Mix begrüßt uns, indem er uns anspringt und sanft an unseren Fingern knabbert. Die fuchsbraune Dame freut sich über neue Gäste. Erst seit ungefähr zwei Monaten ist sie im Tierheim. Angeblich hat sie im Spieltrieb ein Kind ihrer vorherigen Besitzerfamilie verletzt. „Die Besitzer wollten sie deswegen nicht mehr behalten“, erzählt Thiemann mit leichtem Unverständnis. Er könne sich nicht vorstellen, dass Susi mit böser Absicht zugeschnappt hätte.

Auf uns macht sie jedenfalls eine ausgesprochen sympathischen Eindruck. Das Eis zwischen Menschen und Tieren ist sofort gebrochen. Gemeinsam mit Sven Thiemann, der für die Bahn arbeitet, verlassen wir nun das Heimgelände. Die Klischees stehen noch vor dem Eingangstor und gemeinsam beschließen wir, sie dort auch vorerst stehen zu lassen.

Als es losgeht, ist Robin kaum zu bremsen. Er zieht und zerrt an der Leine. Da ist schon ein fester Griff nötig, um ihn im Zaum zu halten. Die erste Bewährungsprobe wartet bereits nach wenigen Metern an der zu überquerenden Bundesstraße 248. Im Sekundentakt donnern die Lkws vorbei. Der Lärm der Fahrzeuge stresst den Terriermischling. Etwas nervös fängt er an zu knurren und wird unruhig. Doch nachdem ihm Sven Thiemann etwas Mut zuspricht, beruhigt sich Robin. Bei freier Straße ist die Angst schließlich verflogen. Schnuppernd erkundet er die Umgebung.

Auch Susi zieht an der Leine, der Gang außerhalb des Geheges macht ihr sichtlich Spaß. Sie flitzt von einem begrünten Stück zum Nächsten. Aufgeregt schnuppert sie an jedem Grashalm und steckt die Nase überall hinein. Sie lässt sich von nichts abhalten, will immer weiter. Im Gegensatz zu Robin bleibt die kleine Mischlingshündin aber insgesamt entspannt. Sie lässt sich kaum vom Aufbrausen des gebürtigen Rumänen anstecken und ist die Ruhe selbst.

Robin arbeitet sich immer einen kleinen Vorsprung von gut 20 Meter heraus. Aber sozial, wie er ist, wartet der Straßenhund auf seine Begleiter. Den Weg, der über verschlungene Feldwege führt, kennen die beiden Vierbeiner bereits. „Wir gehen oft hier lang. Im Sommer können sich die Hunde in den Teichen, abkühlen“, erzählt Sven Thiemann. Einen eigenen Hund besitzt der ehrenamtliche Mitarbeiter nicht, umso mehr genießt er es, mit den Tieren aus dem Heim Zeit zu verbringen. Deren Schicksale berühren ihn, gibt er zu: „Ich wundere mich, wie manche Menschen mit anderen Lebewesen umgehen. Das ist schon sehr traurig“.

Berührungsängste mit den Hunden hat der stämmige Mann aber nicht. „Bei Hunden muss man selbstbewusst auftreten. Sie merken, wenn jemand Angst hat“, erzählt er und gibt zu, dass nicht alle Vierbeiner leicht zu nehmen sind. „Sie kommen oft aus schwierigen Verhältnissen und haben eine Menge durchgemacht, deshalb sind Verhaltensauffälligkeiten nicht selten“, berichtet Sven Thiemann

Als erfahrener Hundesitter, weiß er jedoch, wie er die Tiere, um den Finger wickeln kann. Er greift in die Tasche seiner orangefarbenden Arbeitshose und es ist um die Tiere geschehen. Wie ein unsichtbares Band sind sie mit den Leckerlies in der Hose verbunden. Susi schnuppert und setzte sich brav vor die Füße des jungen Mannes. Als Laie kommt uns der Eindruck einer guten Erziehung zum Vorschein.

Mehr als eine Stunde führen wir die beiden Hunde aus. Auf dem Rückweg gilt es noch eine letzte kritische Situation zu überstehen: Einen Fahrradfahrer mit Hund. Während Susi wie immer entspannt bleibt, wirkt Robin etwas aufgeregt. Wir bleiben kurz stehen, um den Radler passieren zu lassen. Als der Artgenosse außer Sichtweite ist, entlädt sich beim Terriermischling die Anspannung. Während der andere Hund bereits über alle Berge ist, fängt er wie wild an zu bellen.

Überstanden! Zurück im Tierheim, bringen wir Susi und Robin noch zu ihrer Freilauffläche. Zum Abschied kriegen die Beiden noch einen kleinen Snack. Dann ist unsere gemeinsame Zeit schon zu Ende. Als wir das Tor nach draußen passieren, sind die Klischees verschwunden und unsere Skepsis auch.

Der aufregende und zugelich entspannte Nachmittag mit den Hunden zeigt uns und den Tieren, wie wichtig die gemeinsame Zeit ist. Die Tiere im Heim freuen sich immer über neue Gäste, die sich etwas Zeit für sie nehmen. In diesem Sinne war der Ausflug ein voller Erfolg. Wer sich darauf einlässt kann neue Erfahrungen sammeln und tut den einsamen Hundeseelen etwas Gutes. Und die Tierheimmitarbeiter freuen sich über jede Hilfe, in ihrem oft anstrengenden Job.