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Lesung Unfrisierte Erinnerungen der „Roten“

Am Dienstagabend stellte Petra Pau ihr Buch Gottlose Type vor.

Von Fabian Laaß 19.11.2015, 02:00

Salzwedel l Zu einer interessanten Lesung hatte das Jenny-Marx-Forum Salzwedel am Dienstagabend eingeladen. Mit Petra Pau, Vize-Präsidentin des Deutschen Bundestages, konnte eine Frau gewonnen werden, die sich in ihrer politischen Karriere nicht davor scheute, anzuecken. Und das tut sie auch in ihrem ersten Buch Gottlose Type nicht.

„Eigentlich hatte ich nie vor, ein Buch zu schreiben. Aber Ende September 2014 hatte ich ein Schlüsselerlebnis“, erklärte Petra Pau. Damals sei sie zum Antrittsbesuch beim Kuratorium der Stiftung Aufarbeitung gewesen. Dort habe es unter anderem ein Ausstellung zur Deutsch-Deutschen Geschichte gegeben. „Ich hatte eine jüngere Mitarbeiterin dabei. Als wir vor einem Bild mit dem Titel Wir sind das Volk standen, auf dem ein halber Apfel und eine halbe Birne notdürftig zusammengenäht waren, verstand sie die Symbolik nicht“, erinnerte sich die Linke-Politikerin.

Dabei sei der Apfel in der DDR das Obst gewesen, das von Januar bis Dezember zur Verfügung gestanden habe. „In den westdeutschen Medien wurde Helmut Kohl gern mal als Birne bezeichnet.“

Über die Jahre hätten sich so viele Anekdoten angesammelt, dass es schade wäre, wenn diese in Vergessenheit geraten würden, dachte sich Petra Pau. Bestärkt wurde sie dabei von ihren Mitarbeitern.

„Also habe ich jeden Abend eine Episode geschrieben. Mitte Dezember hat sich dann der Eulenspiegel Verlag bei mir gemeldet und mir zwei Bedingungen gestellt. Das Buch sollte eine aktuelle Episode aus dem Jahr 2015 enthalten und Anfang Januar fertig sein. Und so kam es, dass ich über den Sinn und Unsinn von Neujahrsansprachen geschrieben habe“, berichtete Pau.

Für die gut einstündige Lesung hatte sich Karl-Heinz Reck, der als Moderator durch den Abend führte, mehrere der 53 Episoden ausgesucht, unter anderem die Geschichte über das kleine, rote Ampelmännchen. Dahinter verbirgt sich der Weg Petra Paus in den Bundestag. 1998 trat die Berlinerin im Szenebezirk Prenzlauer Berg Mitte für die PDS als Bundestagskandidatin an. „Eigentlich sollte Elmar Schmeling antreten. Da ihm aber Konkursverschleppung vorgeworfen wurde, war er nicht tragbar. Ich war sozusagen die Notlösung“, sagte Petra Pau.

Weil sie gegen namhafte Politiker wie Wolfgang Thierse oder Marianne Birthler antreten musste, hätten die Medien kaum Notiz von ihr genommen. „Also haben wir uns im Wahlkampfteam überlegt, das kleine, rote Ampelmännchen aus DDR-Zeiten zu meinem ständigen Begleiter zu machen. Es stand aber nicht still, sondern ging nach links.“

Trotz der öffentlichkeitswirksamen Kampagne hätte der PDS-Wahlleiter kurz vor dem Wahlkampffinale öffentlich erklärt, die Partei schreibe Paus Wahlbezirk ab. „Ich gewann und erhielt das Direktmandat. Man soll kleine Rote eben nicht unterschätzen“, sagte die rothaarige Bundestagsabgeordnete mit einem Lächeln.

In der Episode „Führungsspieler“ bekam der ehemalige Fußball-Nationalspieler Günther Netzer sein Fett weg. Dieser hatte 2003 erklärt, Michael Ballack könne seiner Meinung nach nicht Kapitän der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft werden, weil er aus dem Osten komme. Das sei ein Fall für Petra Pau, habe sich eine große deutsche Tageszeitung damals wohl gedacht, erinnerte sich die Politikerin. „Ich habe vom Fußball so viel Ahnung wie ein Eisbär vom Stierkampf. Also bat ich einen Freund um Rat, um als fußballpolitische Sprecherin meiner Fraktion reagieren zu können.“

Am 18. September 2003 veröffentlichte Pau dann eine Pressemitteilung. 1974 habe es das denkwürdige Spiel der BRD gegen die DDR gegeben. Günther Netzer wurde dort in der 69. Minute eingewechselt. „Und während der Wessi Netzer im Mittelfeld träumte, erzielte Ossi Sparwasser in der 78. Minute das 1:0. Die BRD-Auswahl berappelte sich in den folgenden Spielen und wurde Weltmeister. Günther Netzer wurde nach der Niederlage gegen die DDR jedoch im Turnierverlauf nicht mehr eingewechselt“, sagte Petra Pau. Mit dieser Reaktion schaffte es die Berlinerin bundesweit auf die Titelseiten.

Das Publikum im voll besetzten Raum der Bibliothek dankte Petra Pau mit viel Applaus. Im Anschluss gab es die Möglichkeit, die Bücher von der Autorin signieren zu lassen.