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Landgericht Opfer: „Ich blute wie ein Schwein“

Ein 52-jähriger Salzwedeler stand vor dem Landgericht Stendal. Er soll seinen Gartennachbarn schwer verletzt haben.

Von Wolfgang Biermann 22.01.2016, 15:58

Stendal l „Ich blute wie ein Schwein – schicken Sie einen Notarzt und einen Rettungswagen zur Ritzer Brücke in Salzwedel.“ Dieser Notruf ging in der Nacht zum 11. Juli 2015 gegen 1.30 Uhr bei der Polizei ein. Die Tonaufzeichnung ist Donnerstag vom Vorsitzenden Richter Ulrich Galler im Prozess vor dem Landgericht Stendal um versuchten Totschlag zu Gehör gebracht worden. Ein 52 Jahre alter Salzwedeler ist angeklagt, im Zustand verminderter Schuldfähigkeit, seinen Gartennachbarn in der Kleingartenanlage Hilgenholz des Nachts mit einem messerähnlichen Gegenstand mit 30 Zentimeter langer Schneide – von Richter Galler als Haumesser bezeichnet – an Kopf, Hals, Arm und Hand verletzt zu haben. „Der Angriff gegen den Hals war potenziell lebensgefährdend“, führte Rechtsmediziner Knut Brandstädter aus, „auch wenn das Messer nicht sonderlich scharf war“.

Das Opfer, ein 36-jähriger Salzwedeler, betrat mit einer Anwältin als Beistand den Zeugenstand. Er sagte aus, dass er an jenem Abend ab etwa 22 Uhr in seiner Laube geschlafen habe. Von einem Zischen und Rascheln sei er wach geworden. Er habe zunächst an einen Scherz geglaubt und nachschauen wollen. Jedoch habe er beim Öffnen der Tür Widerstand bemerkt und sich mit seinen 120 Kilo Körpergewicht dagegen gestemmt. Vor der nunmehr geöffneten Tür habe er seinen Nachbarn auf der Terrasse liegend vorgefunden. Der Angeklagte habe zu einem am Boden liegenden Messer gegriffen und sei damit wortlos und unvermittelt auf ihn losgegangen. Er habe mit einem Besen den Angeklagten in den Bauch gestoßen und ihn entwaffnen können. Erst danach habe der Täter etwas zu ihm gesagt und ihn angebrüllt.

Auf Nachfrage bestätigte der Zeuge, dass es im Vorfeld Streit gab. Seit etwa fünf Jahren seien sie Nachbarn. Zoff gab es demnach vom Angeklagten ausgehend am Nachmittag vor der Tat. Ein 48-Jähriger aus der Gartenanlage umschrieb als Leumundszeuge, dass das Opfer ein von der Gemeinschaft nicht eben wohlgelittener Außenseiter sei. Den ihm gut bekannten Angeklagten bezeichnete der Zeuge als „friedfertig“. Demgegenüber sei das 36-jährige Opfer ein Eigenbrötler und werfe seinen Müll schon mal über den Zaun auf fremde Grundstücke.

Und um Müll ging es wohl auch in dem Streit in jener Nacht. Vom Gericht auf mögliches Konfliktpotenzial angesprochen, räumte das Opfer ein: „Es mögen mich nicht so viele.“ Er ecke öfters mal an.

Der Angeklagte, der zur Tatzeit etwa 1,6 Promille Alkohol im Blut hatte, gab die Tätlichkeiten zu. Er hätte seinen Nachbarn nicht verletzen wollen – „nur ärgern“. Gerichtspsychiater Dr. Mohammad Hasan bezeichnete den seit August in Haft befindlichen Angeklagten als Einzelgänger, der an Ängsten und psychischen Störungen leide. Er bescheinigte ihm zur Tatzeit eine stark verminderte Steuerungsfähigkeit. Demnach stand der Angeklagte unter Einfluss hochdosierter Psychopharmaka und – wegen eines Bandscheibenvorfalls – von starken Schmerzmitteln. Am 29. Januar wird das Urteil erwartet.